Zum Seitenanfang Schritt hoch Schritt runter Zum Seitenende
Armagnac aus Sicht eines Whisky-Genießers - die Blog-Reihe

Armagnac aus Sicht eines Whisky-Genießers - die Blog-Reihe

15.07.2019 17:32


Armagnac aus Sicht eines Whisky-Genießers



Einmal Blut geleckt, oder in dem Fall Armagnac getrunken, und seither konnte sich unser Foren-Mitglied StyrianSpirit nicht mehr von dem Thema lösen und hat sich intensiv damit beschäftigt. Wenn jemand so viel Energie und Leidenschaft in ein Thema investiert, das uns als Spirituosen-Liebhaber im erweiterten Sinne alle interessieren könnte, wäre es geradezu sträflich, die gewonnenen Erkenntnisse nicht bei fassstark.de zu teilen.

Aus diesem Grund werden wir eine mehrteilige Blog-Reihe veröffentlichen zum Thema: Armagnac aus Sicht eines Whisky-Genießers

Zum Auftakt folgt ein Interview, das StyrianSpirit mit Mario Prinz geführt hat, Gründer und Geschäftsführer von Potstill Wien, der in seinem Geschäft und online-Shop neben Whisky auch Armagnac vertreibt.



.



„Für viele Konsumenten ist Whisky zur Ersatzreligion geworden“

Ein Gespräch mit Dr. Mario Prinz, Gründer und Geschäftsführer des Wiener Potstill, über Whisky und Armagnac, Qualität und Mythen.


Mario Prinz, Gründer und Geschäftsführer von Potstill, Wien © Potstill


Herr Dr. Prinz, wo liegen Ihrer Meinung nach die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Whisky und Armagnac? Wie kommt der Whisky-Liebhaber zum Armagnac?

Der Einstieg erfolgt in erster Linie über die Jahrgangs-Abfüllungen, die mittlerweile um einiges billiger sind als Jahrgangs-Whiskys. Bis vor etwa zehn Jahren lagen die Preise gleichauf. Bei Armagnac gibt es immer noch durchgehende Jahrgangs-Reihen von den Dreißigerjahren aufwärts. Das ist bei Whisky heutzutage nicht mehr möglich. Gordon & MacPhail etwa hat bis vor ein paar Jahren ein umfangreiches Jahrgangs-Angebot gehabt, auch die sind mittlerweile ausgestiegen aus den Jahrgangsserien.

Trinken Sie selbst auch Armagnac?

Schon, Armagnac ist ja etwas Gutes. Vor allem im Sommer, mit Ginger Ale gemischt, ist das sehr fein. Natürlich trinke ich Armagnac auch pur – wir haben bspw. eine eigene zwölf- und eine fünfzehnjährige Potstill-Abfüllung eines Cognacs von Frapin. Armagnac ist gut vergleichbar, schon von den Traubensorten und vom Klima her. Ich sehe das ähnlich wie zwei verschiedene Whisky-Regionen, die Highlands oder die Inseln beispielsweise.

Es gibt auch bei Armagnacs immer mehr fassstarke Abfüllungen. Sehen Sie da einen allgemeinen Trend?

Bei unserem Angebot wird eher nach Jahrgangsabfüllungen nachgefragt, da ist es den Kunden meist egal, ob der „Geburtstags-Jahrgang“ dann fassstark ist oder nicht. Mir wäre so ein Trend noch nicht aufgefallen. Cadenhead’s, die ja fast alles in Fassstärke anbieten, hat allerdings vor Kurzem einen fassstarken Cognac herausgebracht.

Wenn Sie selbst Whisky und Armagnac vergleichen – wo liegen beim eigenen Genuss die wesentlichen Unterschiede?

Eines vorweg: Für mich bilden Cognac und Armagnac eine Produktgruppe. So wie es schottischen Whisky und amerikanischen oder irischen Whiskey gibt. Der schottische Whisky zeichnet sich durch all seine Mythen und Legenden über das Land und die Produkte sowie durch sein über Jahrzehnte aufgebautes Image aus. Da stehen auch große Konzerne wie Diageo oder Pernod mit einer ausgeklügelten Strategie dahinter. Das haben Cognac und Armagnac eben nicht. Speziell bei Armagnac gibt’s eher die kleinen Einzelkämpfer. So wie Florence Castarede, deren Armagnacs wir ja vertreiben, die selbst als Chefin auf Messen fährt – das findet man bei den großen Whiskykonzernen natürlich nicht, da fährt bestenfalls ein Marketingverantwortlicher auf die Messe.

Dennoch funktionieren die Stories über Land und Leute und die jahrhundertealte Geschichte bei schottischem Whisky. Für viele Konsumenten ist Whisky auch zur Ersatzreligion geworden. Bei Armagnac gibt’s das nicht, da geht’s wirklich nur um das reine Produkt eines Weinbauern, da geht’s ganz einfach um die Qualität. Das ist bei Whisky oft nicht mehr so. Da gibt’s manches mal „die größte Plörre“ um sündteures Geld – aber die Geschichte drumherum stimmt. Wenn ich mir beispielsweise einen Octomore mit „300ppm“ ansehe, da wird ein drei- bis fünfjähriger NAS-Whisky um zweihundert Euro verkauft, das ist schon erstaunlich. Verglichen damit entwickelt Ardbeg natürlich auch spannende „Marketing-Geschichten“, aber die Qualität passt noch weitgehend dazu.

Das Image von Single Malt ist immer noch das des handwerklich hergestellten Produkts …

Dass daraus mittlerweile eine ordentliche Industrie geworden ist, das sehen die Leute schon. Viele fahren ja nach Schottland und wenn man sich Macallan mit seinen 36 Brennblasen vor Ort anschaut, ist schon klar, dass das eher eine industrielle Produktion darstellt. Das Handwerkliche ist dann noch bei den Kleinen wie Kilchoman zu finden.

Umso erstaunlicher ist es, dass es seit Jahrzehnten Whiskyliebhaber gibt, die Armagnac trinken, eben weil das auch ein „terroir-gebundener“, „handwerklich produzierter“ Spirit ist – aber so richtig durchgestartet ist Armagnac nie. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Wenn ich mir die Cognac-Region anschaue, da ist ja fast nichts los. Die Chateaus schauen schon ganz gut aus, da ist nichts verfallen – aber sehr viel drinnen ist auch nicht, das ist alles sehr spartanisch. Die größeren Firmen haben mittlerweile auch Besucherzentren aufgebaut, aber es sind kaum Menschen dort. In den Dörfern der Region gibt es kein Gasthaus, kein Kaffeehaus, kein Geschäft, das ist vollkommen ausgestorben. Das ist in der Armagnac-Region ähnlich, da gibt’s nur sehr wenig Tourismus. Das ist in Schottland mittlerweile ganz anders. Wenn man sich ansieht, was sich auf Islay abspielt, hat man den Eindruck, das ist das Mekka. Das hat sich über die Jahrzehnte so entwickelt.

In die Armagnac-Region fährt man, weil einen ganz bestimmte Armagnacs von der Qualität her überzeugen. Bei schottischem Whisky geht’s oft nur mehr um das Image oder in welchen Blogs gerade ein Whisky angekündigt wurde. Dann kommen die Leute in unser Geschäft in Wien und wollen unbedingt etwas, was es noch gar nicht gibt und was noch keiner kennt. Und schlussendlich ist das meist ein ganz durchschnittlicher Whisky, aber die Leute sind ganz verrückt danach. Sowas gibt’s bei Armagnac oder Cognac nicht. Die bringen auch keine Phantasie-Produkte wie die „Game of Thrones“-Serie auf den Markt. Das würde auch gar nicht dazupassen.

Zurück zum Geschmack: Was sollte ein Single-Malt-Freund von Armagnac erwarten und was nicht?

Es gibt nicht mehr so viele Single-Malt-Freunde, die wertfrei auf ein Produkt zugehen. Wenn das der Fall ist, wird man von Armagnac nicht enttäuscht sein. Es ist ein bissl ein anderer Geschmack. Wir haben bei Blind Tastings schon einen Cognac unter die Single Malts gemischt – das war dann nur sehr schwer auseinander zu halten. Die meisten sagen dann „Aha, das schmeckt aber interessant!“. Da hat noch keiner gesagt: „Das ist aber ein Cognac oder ein Armagnac!“ Das lässt man sich schon als Whisky einreden. Was bei einem Rum nicht geht, den erkennt man immer; außer vielleicht einen Agricole. Jemand, der sich für ein Getränk interessiert und der Sache wertfrei gegenübersteht, wird mit einem Armagnac seine Freude haben. Da spricht das Produkt für sich selbst, beim Whisky sprechen meistens die von den Konzernen entwickelten Geschichten.


Im Geschäftslokal des Potstill in der Josefstadt in Wien © Briana Pfaffel


Sie sehen im Tourismus auch einen wesentlichen Faktor fürs Marketing ganz allgemein …

Durchaus. Es gibt in Schottland mittlerweile Brennereien, die spielen über ihr Vistor’s Center mehr Geld herein als über ihr Produkt. Die Lage muss natürlich auch stimmen, wie man an Kingsbarns sieht.

Wie schätzen Sie den Spirituosenmarkt insgesamt ein?

In Europa nimmt zwar der Wert, aber nicht mehr die Menge zu. Kein Wunder, die Sachen werden eben viel teurer. Viele der teuren Sachen werden zwar in Europa verkauft – zum Beispiel nach Holland oder Belgien –, gehen dann aber umgehend weiter nach Asien. Deshalb sind die öffentlichen Statistiken auch immer zu hinterfragen.

Was rar ist, wird teurer. Es gibt aber immer noch viele „billige“ Abfüllungen, etwa einen Tomatin 12y, die sehr gut und dennoch günstig sind. Die astronomischen Preise entwickeln sich eher bei Marken wie Dalmore oder Macallan. Das spüren wir in Europa gar nicht so stark, denn da läuft die Nachfrage eher in Asien.

Armagnac wäre, betrachtet man Qualität, Rarität und Seltenheit, auch eine Spirituose, die man sehr teuer verkaufen könnte …

Da hab‘ ich jetzt zu wenig Einblick, ob sich das in Asien in Hinblick auf Armagnac auch so entwickelt. Das positive Image von Whisky hat sich erst über Jahrzehnte gebildet. Ich finde übrigens, dass die Aufmachung von Armagnacs oftmals „zu einfach“ ist. Es muss schon „nach etwas ausschauen“, wie es bei uns so schön heißt, damit ich einen ordentlichen Preis verlangen kann. Vielleicht ist dieser Purismus langfristig aber doch wieder eine gute Sache.

Danke für das Gespräch!

Interview und Aufbereitung: StyrianSpirit

Links:
www.potstill.org
https://youtu.be/8lP5zdp4XuU


Copyright Bild Armagnac: http://www.armagnac.fr © Michel Carossio

Kommentar zu "Armagnac aus Sicht eines Whisky-Genießers - die Blog-Reihe" verfassen
Sie haben nicht die erforderlichen Rechte, diesen Artikel zu kommentieren.


disconnected Stammtisch Mitglieder Online 50
Xobor Xobor Blogs
Datenschutz