Zum Seitenanfang Schritt hoch Schritt runter Zum Seitenende
„Armagnac ist eigentlich viel zu billig“

„Armagnac ist eigentlich viel zu billig“

19.12.2021 16:17

Ein Interview mit Julien Franclet von der Domaine Séailles über die Produktion von Wein und Armagnac, regionale Unterschiede und die Rolle aufgeschlossener Konsumenten.


Bild: © Domaine Séailles


Lieber Julien Franclet, wie könnte man aus Ihrer Sicht das an sich hervorragende Produkt Armagnac weltweit bekannter machen – und welche Rolle könnten dabei die „neuen Medien“ spielen? Ich sehe gerade, Sie haben auch eine brandneue Website ...

Julien Franclet: Es ist heutzutage einfach notwendig, eine gute, einladende Website zu haben. Der Onlineshop ist neu, allerdings versende ich damit nur innerhalb Frankreichs, denn die Bestimmungen in Sachen Steuern sind sehr unterschiedlich, auch innerhalb der EU. Und wir verkaufen rund 80 Prozent unserer Armagnacs innerhalb Frankreichs und nur etwa 20 Prozent im Export. Die Hauptmärkte sind die USA, das Vereinigte Königreich und in Deutschland kooperiere ich seit Neuestem mit armagnac.de


Julien Franclet kam 2009 als Önologe zur Domaine und wurde 2016 zum Teilhaber | Bild: © EPerrin / Domaine Séailles

Erzählen Sie bitte noch kurz über die Geschichte der Domaine Séailles ...

Das Weingut Domaine de Séailles befindet sich seit 1961 in Familienbesitz. Die im Ténarèze gelegene Domaine wird seit 1998 biologisch bewirtschaftet und ist einer der Pioniere des biologischen Weinbaus; ich selbst bin im Jahr 2009 als Önologe zur Domaine gestoßen. Im Jahr 2016 wurde ich auch zum Teilhaber. Wir bewirtschaften eine Rebfläche von 25 Hektar mit u.a. Merlot, Carbernet oder Sauvignons, wobei 4 Hektar davon mit Ugni Blanc dem Armagnac vorbehalten sind. In Zukunft wollen wir auch Baco für die Armagnac-Produktion pflanzen und ich erwarte mir einiges, vor allem von den Blends aus Ugni Blanc und Baco. Alle anderen Traubensorten werden für die Produktion unseres Cote-de-Gascogne-Weins verwendet.

Die Wein-Produktion wird auch ein Schwerpunkt bleiben. Künftig wollen wir allerdings eine noch bessere Balance zwischen der Wein- und Armagnac-Produktion herstellen und diese auf jedenfalls 6 Hektar ausweiten. Wir verkaufen gerade relativ viel Armagnac, weil der Spirit „im Trend liegt“ und so müssen wir die Vorräte entsprechend ergänzen.

Denken Sie, dass das Wachstum des Armagnac-Marktes weitergehen wird?

Was mittelfristig sein wird, weiß niemand. Für die kommenden ein, zwei Jahre sehen wir jedenfalls ein Marktwachstum. Die Konsumenten sind sehr aufgeschlossen und probieren nicht nur Rum oder Whisky, sondern auch Armagnac und kommen drauf, dass dieses Produkt ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis aufweist. Die Armagnac-Produktion braucht aber Zeit und wir verkaufen – neben dem einzigen Blend mit 20 Jahren – nur Jahrgangs-Armagnacs, die auch mindestens 10 Jahre im Fass reifen müssen. Insofern müssen wir weit in die Zukunft blicken, was nicht immer einfach ist.

Was wünschen sich denn Ihre Kunden in erster Linie?

Ein Großteil unserer Kunden möchte den Armagnac in reduzierter Form genießen. Die meisten unserer Armagnacs sind auf 46% reduziert. Seit etwas mehr als einem Jahr steigt aber die Nachfrage nach fassstarken Single-Cask-Armagnacs. Sascha Junkert von armagnac.de ist hier einer der Treiber dieser Entwicklung. Die meisten Franzosen erschrecken noch ein wenig, wenn sie sehen, dass Armagnac 50 oder mehr Prozent Alkoholgehalt aufweist. Ich denke aber, dass in ein paar Jahren der Anteil meiner Verkäufe an Single-Cask-Armagnacs bei etwa 30 bis 40 Prozent liegen wird.

Meine Philosophie in der Produktion sieht so aus, dass nur ein Fass jedes Jahrgangs reduziert wird und der Rest wird fassstark ausgebaut. So bleibe ich flexibel für die jeweilige Kundengruppe.


Im Fasslager, genannt Chai | Bild: © Domaine Séailles

Wie viele Fässer produzieren Sie denn in einem „normalen Jahr“?

Das sind etwa sieben bis acht Fässer; wenn die gesamten 4 Hektar verarbeitet werden können, dann sind es etwa 14 bis 15 Fässer pro Jahr. Wobei unsere Fässer mit 300 Litern kleiner sind als die üblichen Armagnac-Fässer mit rund 400 Liter Fassungsvermögen. Wir verwenden keine Eiche aus der Gascogne, sondern eine Mischung aus anderen französischen Eichen, die meines Erachtens besser funktionieren. Unsere Fässer sind auch nur sehr leicht getoastet. Und wir nutzen auch einen fahrenden Destillateur und destillieren üblicherweise im Jänner.

Warum so spät?

Weil der Destillateur seine Arbeit im Bas Armagnac beginnt und eben erst nach Weihnachten im Ténarèze ankommt.

Welchen Effekt hat die organische Produktionsweise auf Ihren Armagnac?

Der Unterschied liegt vor allem im Weinbau, wir produzieren absolut organisch. Bei den Armagnacs verwenden wir auch keinen Zucker oder sonstige Additive. Der Unterschied zwischen organischer und nicht-organischer Produktion ist beim Endprodukt Wein sicher stärker spürbar als bei Armagnac; so verwenden wir bei der Weinproduktion bspw. nur natürliche Weinhefe und keine Sulfite.

Wenn Sie nicht ihre eigenen Armagnacs genießen, welche Armagnacs anderer Produzenten würden Sie denn empfehlen?

Zuallererst präferiere ich unsere jungen Armagnacs – und dann die alten. Spaß beiseite. Natürlich mag ich auch die Armagnacs der Domaine Boingnères, das sind die besten der Besten, wie ich finde. Diese Bas Armagnacs kann man in voller Stärke genießen und sie wachsen auf einem fantastischen Terroir. Martine Lafitte liefert eine unglaubliche Qualität in der gesamten Produktionskette.

Machen eigentlich ihre französischen Kunden große Unterschiede zwischen Bas Armagnac, Ténarèze oder Haut Armagnac?

Für die meisten Franzosen ist Armagnac ein „Großväter-Getränk“. Es ist wirklich ein Problem, dass es viel trendiger ist, Whisky, Gin oder Rum zu trinken. Das Image des „Altherren-Getränks“ gilt in Frankreich übrigens für Armagnac genauso wie für Cognac. Wenn die Franzosen schließlich Armagnac trinken, wollen sie Bas Armagnac trinken, denn der hat das bessere Image und ist einfach bekannter. Dabei hat Ténarèze Armagnac ebenfalls hervorragende Qualitäten und darüber hinaus ist er wirklich sehr preiswert. Die Preisdifferenz ist natürlich ungleich größer als der Unterschied in der Qualität je sein könnte. Meinen ältesten Jahrgang aus 1972 kann man in Frankreich für 96 Euro erwerben. Aber mir ist es eben lieber, meine Armagnacs zu Preisen zu verkaufen, die sich auch jeder leisten kann.

Wenn Sie Armagnac mit Cognac vergleichen, haben in Frankreich tatsächlich beide immer noch das Image, altmodisch zu sein?

Ja, so ist das. Es gibt aber einen großen Unterschied: Armagnac wird von ganz kleinen Produzenten wie uns gemacht, Cognac ist großes internationales Business mit viel Marketing, Armagnac ist handwerksgetrieben. Das hat alles Vor- und Nachteile. Aber Armagnac-Menschen sind grundsätzlich optimistisch.

Wie organisieren Sie den Vertrieb ihrer Weine und des Armagnacs?

Das läuft vor allem über Messen und ähnliche Veranstaltungen und ein guter Teil wird auch über die Gastronomie in Frankreich abgesetzt. Nächstes Jahr werde ich, falls die Pandemie es zulässt, eine Armagnac-Messe in Deutschland besuchen. Der deutsche Markt ist deshalb interessant, weil die Konsumenten sehr offen sind und Neues probieren. Neben Großbritannien gibt es auch in kleinerem Umfang Exporte nach Italien.

Gibt es noch etwas, was Sie den entdeckungsfreudigen Armagnac-Interessierten sagen wollen?

Heutzutage muss alles schnell gehen. Armagnac ist aber der älteste Spirit Frankreichs mit einer mehr als 700-jährigen Geschichte und verlangt nach Zeit. Zeit in der Produktion, Zeit zum Trinken. Wenn ich eine Flasche Armagnac verkaufe, verkaufe ich auch die Tradition und Geschichte unserer Region. Es ist auch einfacher, Whisky oder Rum zu produzieren. Bei Armagnac müssen sie zuerst die Reben im Weinberg mit größter Sorgfalt bearbeiten und ernten, dann den Wein bereiten und können erst im nächsten Schritt mit der Destillation beginnen, ehe der Armagnac für viele Jahre gelagert und betreut werden muss. Wenn Sie den Arbeitsaufwand gegenüberstellen, werden Sie sehen, dass Armagnac eigentlich viel zu billig ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview und Aufbereitung: @StyrianSpirit


Links:
https://www.domaineseailles.fr/en/home/

Kommentar zu "„Armagnac ist eigentlich viel zu billig“" verfassen
Sie haben nicht die erforderlichen Rechte, diesen Artikel zu kommentieren.


disconnected Stammtisch Mitglieder Online 75
Xobor Xobor Blogs
Datenschutz