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Armagnac: Was die Zukunft bringen wird

Armagnac: Was die Zukunft bringen wird

28.08.2020 18:54

„Was die Zukunft bringen wird, können wir niemals wissen.“




Ein Gespräch mit Gilles de Boisséson, in elfter Generation am Château de Lacquy verantwortlich für die Produktion von Armagnac, über die aktuelle Marktsituation, traditionelle Produktionsmethoden und künftige Generationen.


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Bild: Das Château de Lacquy im „Grand Bas Armagnac“ in der Gascogne im Südwesten Frankreichs © Château de Lacquy

Sehr geehrter Herr de Boisséson, lassen Sie uns zunächst einen kurzen Blick in die Zukunft werfen. Wie schätzen Sie die Veränderungen ein, die die Corona-Krise mittel- und langfristig einerseits für Ihr Unternehmen und andererseits für die Armagnac-Industrie im Allgemeinen mit sich bringt?

Gilles de Boisséson: Das ist eine schwierige Frage, denn was die Zukunft bringen wird, können wir, gerade auch in Hinblick auf das neue Phänomen „Corona“, natürlich nie wissen. Unser Betrieb stellt hochwertige Produkte her, die in erster Linie an große Hotels und Privatpersonen verkauft werden. Wir sind sehr eng mit dem Tourismus- und Hotelsektor und dem Segment der Luxusprodukte allgemein verbunden. Und vor zwei Jahren haben wir in den USA mit dem Vertrieb in den auf Spirituosen spezialisierten großen Geschäften begonnen. Abgesehen von den Vereinigten Staaten haben wir meiner Meinung nach zwei schwierige Jahre vor uns.

Und abgesehen von der allgemeinen Wirtschaftslage kann ich sagen, dass unser Unternehmen gut aufgestellt ist, weil wir neben Armagnac noch andere Aktivitäten haben; wir sind ein landwirtschaftlicher Betrieb und eine vergleichsweise kleine Einheit. Ich glaube nicht, dass wir in Zukunft größere Probleme haben werden. Wenn Sie Ihren Armagnac heute nicht verkaufen, haben Sie ihn noch immer in Ihrem Keller und können ihn in zwei oder drei Jahren verkaufen. Der Preis für das Produkt wird weiter steigen. Wir agieren sehr langfristig: seit 1711 haben wir drei Revolutionen, drei Monarchien, zwei Reiche, fünf Republiken und zwei Weltkriege erlebt. Wir sind es gewohnt, Ruhe zu bewahren ... Die gegenwärtige Krise könnte ein Problem für einzelne Akteure und Unternehmen sein, die Armagnacs kaufen und verkaufen, oder für die Genossenschaften, wenn sie bereits finanzielle Schwierigkeiten haben.

Welche anderen Produkte stellen Sie denn her?

Wir stellen keinen Wein in Flaschen oder Floc her, aber wir produzieren ein sehr ähnliches Produkt wie Floc, unseren „Vin de Liqueur“. In diesem Jahr haben wir Saatgetreide und grüne Bohnen produziert und wir ernten in der Region Aquitanien auch grüne Bohnen für Gemüseunternehmen wie Bonduelle. Wir produzieren keinen Wein in der Flasche, da wir nur die erste Pressung verwenden und die letzte Pressung des Weins im Bulk generell an Branntweinhersteller verkaufen, die bessere Preise anbieten. Wenn Sie die Trauben zu stark pressen, erhalten Sie einen sehr harten, etwas aggressiveren und weniger aromatischen Armagnac und dann müssen Sie etwas Zucker hinzufügen. Aber wir erlauben es uns nicht, Zucker oder andere Zusätze hinzuzufügen, und wir mögen keine aggressiven Armagnacs.

Was ist für Sie persönlich der größte Unterschied zwischen Scotch Single Malt und Armagnac?

Zunächst einmal wird Whisky aus Malz und Getreide hergestellt; es handelt sich um ein völlig anderes Produkt. Er wird meist zweifach mit 80 bis 90 Prozent Alkohol gebrannt. Die Destille ist das ganze Jahr über aktiv. Sie müssen diese Alkoholstärken meist mit Wasser reduzieren, bevor der Spirit ins Fass kommt. Und die Produzenten verwenden Veredelungsfässer, um ihren Produkten einen gewissen Geschmack zu verleihen. Der Erfolg von Whisky basiert auch auf intensivem Marketing – von Whisky werden rund 1,3 Milliarden Flaschen pro Jahr verkauft und von Armagnac etwa 2,5 Millionen. Einige der Whiskys sind aber natürlich hervorragende Spirits!

Es handelt sich ganz einfach um ein absolut anderes Produkt als Armagnac, der aus Wein hergestellt wird. Armagnac ist ein landwirtschaftliches und kein industrielles Produkt. Cognac ist übrigens auch ein industrielles Produkt. Armagnac wird ein Mal mit etwa 53% Alkohol destilliert, also brauchen wir einen sehr guten naturbelassenen Wein mit leichter Hefe („light Lees“). Deshalb ist unser Produkt auch eine handwerkliche Spirituose („Craft Spirit“), die direkt mit den Rebsorten, dem Boden und der Landschaft, dem Terroir, verbunden ist.

Welche Art von Eiche verwenden Sie denn für Ihre Fässer?

Seit etwa 50 Jahren verwenden wir neben der Eiche aus der Gascogne auch Limousin-Eiche; ein Teil der Hölzer stammt aus unserem eigenen Anwesen.


Bild: Chai am Château de Lacquy: Hier lagern Armagnacs aus drei Jahrhunderten © Château de Lacquy

Wie würden Sie denn „traditionellen Armagnac“ definieren?

Das beginnt einmal mit dem eigenen Weinberg. Wir ernten und vinifizieren dann unsere drei Traubensorten Baco, Folle Blanche und Colombard. Wir vinifizieren und destillieren den Wein auf dem Weingut, der Wein ist vollkommen naturbelassen und hat einen „leichten Weintrub (light Lees)“ und keine „schweren Lees“ im Wein. Wenn der Wein vinifiziert wird, „refreshen“ wir ihn und destillieren ihn nach 15 Tagen bis drei Wochen, wenn der Wein klarer geworden ist. Wir brennen den Wein dann mit einem sehr alten, mit Holz beheizten, Alambic Armagnacais auf unserem Weingut. Unser Alambic produziert zwei oder drei Fässer pro Tag, das ist sehr langsam. Weiters verwenden wir zwischen 40 und 50 Prozent neue Fässer. In diesem Jahr etwa benötigten wir 60-70 Fässer und kauften 35 neue Fässer. Die meisten haben ein mittleres, einige ein starkes und einige ein leichtes Toasting. Und wir destillieren und reifen pro Rebsorte in unseren Lagerhäusern. Außerdem verwenden wir keine Zusatzstoffe. All das nenne ich „traditionell“.

Jede Charge für ein und dasselbe Jahr fällt auch sehr unterschiedlich aus, denn man hat unterschiedliche Trauben, verschiedene Fässer, alte und neue mit unterschiedlichen Toasting-Levels und so weiter. Wir machen auch Blends aus verschiedenen Jahren und Traubensorten; diese Blends bereiten wir zwei Jahre im Voraus vor. Die Blends sind unsere Kernprodukte, beginnend mit unseren drei, sieben, zwölf und siebzehn Jahre alten Armagnacs.

Welches sind die wichtigsten Märkte für Ihr Unternehmen?

Die größten Marktsegmente sind Restaurants, Hotels, Privatpersonen und Verkäufer von Luxusgütern. Etwa 30 Prozent unserer Verkäufe machen wir in Frankreich. Unsere vier Hauptmärkte sind dann noch England, Italien, die Vereinigten Staaten und Russland. In Deutschland verkaufen wir relativ wenig und haben noch keinen Vertriebspartner. Dafür gibt es viele Privatpersonen, die direkt über unseren Online-Shop bestellen.

Könnten Sie den Umsatzanteil Ihres Online-Shops definieren?

Das ist nicht so viel, der Anteil liegt bei etwa 8 Prozent. Dieser Direktverkauf an Einzelpersonen nimmt jedoch stark zu.

Zurück zum Produkt: Wie würden Sie das berühmte Armagnac-Aroma „Rancio“ definieren?

Rancio wird von sehr alten Armagnacs hervorgebracht. Es gibt zwei Bedeutungen von Rancio: Die erste ist, dass einige Hersteller künstliche Aromen auf der Basis von gekochten Holzspänen hinzufügen, um einen „Rancio-Style“ hervorzurufen. Das ist wirklich abzulehnen. Was wir Rancio nennen, ist ein spezifischer Geschmack von sehr alten fassgereiften Armagnacs, ab 30 Jahren etwa, die sehr süße Aromen von Holz und Früchten entwickeln; ergänzt um Pilz- und erdige Aromen. Echtes Rancio kommt heutzutage eher selten vor. Manchmal kann man Rancio-Noten auch in sehr alten Cognacs oder Whiskys finden.

Das Wort Rancio wird normalerweise für etwas verwendet, das bei der Oxidation von Weinen wie Madeira entsteht. Und es bildet sich eben in manchen Spirituosen-Fässern, aber beileibe nicht in allen. Rancio ist wirklich eine Frage der Reife-Dauer. Ich mag das sehr gern. Mir persönlich sind jedoch 20 Jahre alte Armagnacs noch lieber als sehr alte mit sehr starkem Rancio-Charakter.

Ihre „Carafe des Siècles“ ist ein außergewöhnlicher Spirit. Wo liegt das Geheimnis?

Eigentlich ist unsere „Carafe des Siècles“ eine Art „Lost Barrels Armagnac“: Mein Vater hat alte Armagnacs in denselben Fässern geblendet, weil sie sehr gut waren, aber nicht in ausreichender Menge vorhanden, um dauerhaft eine bestimmte Qualität herzustellen. Er begann damit in den 50er-Jahren und machte das bis zu seinem Tod im Jahr 2012. Diese Fässer enthalten Armagnacs aus dem 19. Jahrhundert bis hinauf in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Wir haben dann im Jahr 2011 beschlossen, die „Carafe des Siècles“ gleichsam als Symbol für die drei Jahrhunderte des Bestands des Weingutes in unserer Familie zu kreieren. Und schön langsam neigt sich der Bestand dem Ende zu.

Zurück in die Zukunft: Ist in Ihrem Familienunternehmen mittlerweile bereits die 12. Generation seit 1711 am Werk?

Ich habe drei junge Söhne, der jüngste ist 26 Jahre alt. Alle arbeiten derzeit in ihrem eigenen Business. Aber einer von ihnen wird natürlich unseren Betrieb übernehmen. Wir haben nur noch nicht entschieden, wer das sein wird.

Danke für das Gespräch!



Bild: Seit 1711 in Familienbesitz – die 11. und 12. Generation der Familie de Boisséson mit Interviewpartner Gilles de Boisséson (rechts unten) © Château de Lacquy


Links: https://www.chateaudelacquy.com/

Interview und Aufbereitung: @StyrianSpirit

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