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Armagnac aus der Sicht eines Whiskygenießers - die Blog-Reihe Teil 4

Armagnac aus der Sicht eines Whiskygenießers - die Blog-Reihe Teil 4

30.08.2019 16:37




Heute folgt der vierte Teil unserer Blog Reihe Armagnac aus der Sicht eines Whiskygenießers.
Florence Castarede, in sechster Generation Inhaberin und Geschäftsführerin des renommierten und ältesten Armagnac-Handelshauses, spricht mit StyrianSpirit über Armagnac und über Whisky.


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„Der Duft eines Armagnacs hält sich über Monate im Glas.“

Ein Gespräch mit Florence Castarede über Armagnac als Parfum, die wahren Meister der Reifung, internationale Märkte und wirksame Methoden, Single-Malt-Liebhaber von Armagnac zu überzeugen.



Florence Castarede, in sechster Generation Inhaberin und Geschäftsführerin des renommierten und ältesten Armagnac-Handelshauses © Castarede

Wenn Sie Armagnac mit Single Malt vergleichen – worin sehen die größten Unterschiede, vor allem beim Genuss des Getränkes?

Der Hauptunterschied für mich ist – da Armagnac aus Weißweinen destilliert wird – die unmittelbare Parfum-Entfaltung und die Fruchtigkeit. Wenn Sie einen Armagnac probieren, haben Sie sofort das Gefühl der Frische und Fruchtigkeit, des Terroir und natürlich kommen später auch die verschiedenen Aromen des Alterns und des Alters. Wie beim Malt Whisky. Im Gegensatz zu Whisky gibt es bei Armagnac noch einen großen Bestand an sehr alten Jahrgängen und deshalb auch sehr viele verschiedene einzigartige Holzfässer. Diese Komplexität ist meines Erachtens der wichtigste Unterschied zum Scotch Single Malt. Wenn ich Armagnac präsentiere, werde ich immer auf diese unglaublich intensive Duft-Entfaltung, auf dieses spezielle Parfum, hinweisen. Der Duft in der Nase und der lange Abgang sind sehr wichtig. Der Duft eines Armagnacs hält sich über Monate im Glas. In meinem Showroom in Paris habe ich Gläser, die ein oder zwei Monate lang nicht ausgespült wurden. Wenn die Besucher hereinkommen, erhalten sie so einen ersten Eindruck von Armagnac. Ich lasse sie dann auch an den Gläsern, die über längere Zeit nicht vom Rest meines Armagnacs des Jahrgangs 1989 gereinigt wurden, schnuppern – und alle Aromen des frischen Armagnac im Glas sind immer noch vorhanden. Die Fruchtigkeit und die Frische, das ist charakteristischer ausgeprägt als beim Whisky. Ein sehr berühmter Sommelier entdeckte im Armagnac mehr als 200 verschiedene Aromen.

Im Allgemeinen haben Sie zu Beginn die so genannten „Aromen der Pflaume“, Pflaumenkonfitüre, Fruchtigkeit. Mehr und mehr kommen dann die blumigen Noten, die äußerst interessant ausfallen können. Manchmal zeigen sich noch Aromen kandierter Früchte, von Birnen und Äpfeln. Und letztes Jahr zeigte mein 1978er-Jahrgang plötzlich Sherry-Noten! Ich weiß nicht wie und warum, es ist einfach so. Manchmal kann man zum Start auch Zitrusfrüchte und Litschi wahrnehmen.

Nach etwa zehn Jahren melden sich die pflanzlichen Aromen wie Tabak, Kräuter oder Geranium. Nach etwa zwanzig Jahren Reife folgen die „Patisserie“-Düfte, d.h. Sie empfinden Schokolade, Lebkuchen, Bratäpfel. Nach fünfundzwanzig bis dreißig Jahren melden sich die Gewürz-Aromen besonders intensiv wie etwa Vanille, Muskat, weißer Pfeffer und manchmal auch ein wenig Süßholz und Lakritz. Nach etwa dreißig Jahren riecht man einige kandierte Früchte wie Quitten, Pflaumen, Orangen, Mandarinen. Nach spätestens 40 Jahren werden die Holz-Aromen intensiver. So können Sie den Geruch der Eiche, des Harzes und auch wieder vermehrt Röstaromen wie Kakao, Kaffee und Tabak wahrnehmen, ebenso die rauchigen Noten.

Und nach fünfzig, sechzig Reifejahren Jahre melden sich die Trockenfrüchte sowie Tierimpressionen wie Stallgeruch, Fell und Leder. Man kann die Tiere auf dem heimatlichen Boden, dem Terroir, förmlich riechen. Und natürlich sind die Rancio-Noten für einen sehr alten Armagnac ungemein wichtig. Da riecht es dann nach Madeira, Trüffel und Wachspolitur. Es tut mir leid das so sagen zu müssen, aber ich denke wirklich, dass Armagnac aufgrund des Ausgangsstoffs Weißwein eine viel größere Bandbreite verschiedener Düfte entwickeln kann als Whisky.


Am Anwesen des Château de Maniban werden die Reben der Armagnac-Weine kultiviert. © JB Laffitte

Würden Sie der Behauptung zustimmen, dass je älter Whisky und Armagnac werden, sie einander immer ähnlicher werden in ihrer Aromatik?

Ja, genau. Das ist auch so beim Rum. Wenn ein Single Malt, Rum oder Armagnac etwa 40, 50 Jahre alt ist, können die Geschmackseindrücke sehr ähnlich sein. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Spirituosen Scotch Whisky und Armagnac besteht darin, dass wir beim Armagnac ganz intensiv an der Alterung, am Reifungsprozess arbeiten; beim Whisky wiederum gibt es die Meisterschaft des Mischens, des Blendings. Was meine ich damit? In der Armagnac-Branche gibt es einen wahren „Kellermeister“ – dieser Meister kümmert sich wirklich um jedes einzelne Eichenfass im Lager. Er kann die Fässer öffnen, er kann den Armagnac zwischen den Fässern austauschen, er kann die Armagnacs belüften und so weiter. In den Whisky-Destillerien, so wie ich sie kenne, wird die Fassreifung insofern „blockiert“, als der Korken dicht ins Fass geschlagen wird und nur alle paar Jahre, wenn Inventur gemacht wird, werden die Fässer geöffnet und kontrolliert. Beim Armagnac ist immer jemand im Lager. In den von mir besuchten Whisky-Destillerien sah ich fast nie einen Menschen im Lager. Aufgrund der riesigen Menge an Holzfässern hätten sie auch gar nicht die Zeit, jedes Fass einzeln zu kontrollieren. Bei uns haben wir sehr kleine Unternehmen, so dass wir uns auch die Zeit nehmen können, uns viel intensiver um alle unsere Fässer einzeln zu kümmern.


Im Lagerhaus von Castarede © JB Laffitte

Verwenden Sie in Ihren Kellern nur Holz aus den Wäldern der Gascogne?


So ist es. Ich habe das Gefühl, dass es richtig ist, dass die Eiche aus derselben Gegend stammt wie die Weinberge, wenn beides auf dem gleichen Boden wächst, die gleiche Atmosphäre und das gleiche Klima atmet. Mein Fassmacher berichtet mir, dass er nur Holz aus dem Südwesten Frankreichs verwendet, also aus der unmittelbaren Nähe unseres Anwesens und auch Holz aus den Wäldern der nahen Pyrenäen. Jedes Holzfass besteht aus 45 verschiedenen Holzstäben, die von 12 verschiedenen Bäumen stammen. Sie können sich also die unendlich vielen möglichen Variationen ausmalen, die sich daraus ergeben. Wenn man also einen Blanche Armagnac in ein Fass und den gleichen Armagnac zur selben Zeit in ein anderes Fass gibt, hergestellt vom selben Fassmacher, wird der Geschmack nach der Lagerung ganz anders sein. Das ist die Magie und Einzigartigkeit von Armagnac. Jedes Fass ist anders und auch jeder Jahrgang unterscheidet sich vom anderen.

Sehen Sie, ähnlich wie in der Single-Malt-Szene, eine steigende Nachfrage nach Single-Cask-Armagnacs?

Ja, die Nachfrage steigt. Deshalb haben wir eine spezielle Kollektion von Einzelfässern, „Brut de Fut“ abgefüllt, zusammengestellt. Zum Beispiel wähle ich seit drei Jahren jeweils ein spezielles Fass aus der Folle-Blanche-Traube aus, das unglaublich intensiv-blumig schmeckt, speziell auch für die Single-Malt-Liebhaber. In naher Zukunft werde ich das auch mit Armagnac aus der Baco-Traube machen. Das ist eine sehr gute Möglichkeit, Armagnac zu positionieren.

Aber es ist sehr schwierig, so ein Fass auszuwählen, denn ich benötige Fässer mit hohem Alkoholgehalt. Mein erstes Einzelfass war sechs Jahre alt mit 59%; destilliert wurde es mit 61%, was für Armagnac sehr hoch ist, denn normalerweise destillieren wir bei 55%. Als ich diese ungewöhnliche Stärke bekanntgab, waren die Leute fast schockiert. Ich sagte: „Seid nicht schockiert, Ihr werdet sehen, was passieren wird...“ Im Mund bemerkt man die 59% gar nicht, sie fühlen sich einfach wie 45, 46% an. So haben wir nun jedes Jahr ein Fass ausgewählt und wenn so ein Fass fertig ist, ist es eben fertig. Das nächste Fass war ein 10 Jahre altes Folle-Blanche-Fass, abgefüllt mit etwa 55%. Die Genießer waren vollkommen begeistert. Es ist eine neue Kollektion, die wir Schritt für Schritt erweitern können. Es geht einfach darum, auch in unserer Branche neue Dinge zu platzieren.


Im Lagerhaus von Castarede © JB Laffitte

Wenn man Armagnac erkundet, wird manchmal zwischen „traditionellem“ und „kommerziellem“ Armagnac unterschieden. Wie würden Sie „traditionellen Armagnac“ definieren?

Ein „traditioneller Armagnac“ muss für mich authentisch sein und das bedeutet keine Zusätze, der Armagnac sollte völlig klar sein. Was Sie Armagnac zusetzen dürfen – wie in Cognac – ist Karamell zur Farbgebung und Zucker.

Wie sehen die Regularien aus?

Das Gesetz zum Finish des Weinbrands ist für Cognac und Armagnac seit 1921 das gleiche. Der Zusatz von Zucker-Sirup bspw. ist zulässig, aber nur in sehr geringem Ausmaß. In meinem Haus könnte ich Zucker in einer sehr geringen Menge für die VS-Qualität einsetzen, das ist ein Eau de vie, der etwa zwei Jahre in Eichenfässern gereift ist. Zu allen anderen länger gereiften Armagnacs wurde selbstverständlich niemals Zucker hinzugefügt. Für mich sollte ein traditioneller Armagnac eben vollkommen klar sein, nicht aggressiv und voll von Aromen. Wenn ich meine Armagnacs promote, spreche ich vom Parfüm und ich gebe ein paar Tropfen Armagnac auch als Parfüm auf meine Hand.

Was auch noch wichtig ist: Der erste Eindruck eines Armagnac wird sich nach 15 Minuten im Glas ändern. Das liegt am Sauerstoff und es ist immer schön, diese Transformation zu beobachten. Ich organisiere auch immer wieder Abendessen mit Armagnacs und Zigarren, weil das sehr gut zusammenpasst. Wenn man eine Zigarre raucht, dauert das eine Stunde – also benötigt man Spirituosen, die eine Stunde und mehr in einem Glas bei guter Konsistenz verbringen können. Das ist der Fall bei Armagnacs von 20 Jahren aufwärts. Dieses Potenzial für eine „konsistente Transformation“ ist auch wichtig für einen Drink nach dem Abendessen, wenn Sie sich nach dem Essen oder während der Desserts ganz viel Zeit nehmen. Für mich gehört das auch zur Tradition.

Die meisten Ihrer Armagnacs wurden auf 40% verdünnt. Warum machen Sie das?

Weil Armagnac nicht besonders bekannt ist, sind 40% für das erste Kennenlernen ideal. Die höheren Stärken sind eher etwas für die Connoisseure. Aber wir richten uns nach den Kunden und wenn die Nachfrage nach Armagnacs mit höherem Alkoholgehalt steigt, werden wir diese anbieten. Deshalb werden wir im September eine spezielle 25-jährige Cuvee mit 44% für Zigarrenliebhaber auf den Markt bringen. Der einzige Weg, einen Konsumenten davon zu überzeugen, zu Armagnac zu wechseln, ist eine Verkostung. Tastings sind der wirkungsvollste Weg, vor allem auch Whisky-Liebhaber von den Qualitäten eines Armagnacs zu überzeugen.

Welches sind denn die derzeit wichtigsten Auslandsmärkte?

Der aktuell wichtigste Markt für uns ist Russland. Generell folge ich den wichtigsten Auslandsmärkten für die gesamte Armagnac-Branche. Das sind derzeit Russland, die Vereinigten Staaten und England.

Wäre es möglich, bei stark steigender Nachfrage sehr viel mehr Armagnac zu produzieren?

Das wäre möglich, aber im Moment gibt es die Nachfrage nicht. Viele Weingüter produzieren und verkaufen also Wein anstelle von Armagnac. Aktuell ist in der Gascogne das Geschäft mit Wein wichtiger als das mit Armagnac. Wir haben auch ein sehr geringes Budget für internationales Marketing etwa im Vergleich zu Cognac oder Scotch Whisky. Und manchmal vergessen die Whiskyliebhaber, denen Armagnac sehr geschmeckt hat, ihn auch zu kaufen. Vielleicht ist das ja ein Problem der Renommees und des Images.

Denken Sie, dass im Bereich der Edelbrände der größte Wettbewerb mit Cognac läuft?

Ja, aber auch mit Whisky, denn das sind die wichtigsten Spirituosen weltweit. Armagnac stellt nur etwa zwei Prozent des Umsatzes von Cognac dar. Aus internationaler Perspektive ist das gar nichts.

Glauben Sie, dass es genügend Aktivitäten gibt, um dies zu ändern?

Das Hauptproblem des BNIA etwa ist meiner Meinung nach das begrenzte Budget. Natürlich verwenden sie den größten Teil ihres relativ kleinen Budgets für die großen Märkte Russland, USA, China und England. Auf diesen Märkten organisieren sie Meisterkurse mit „Armagnac-Botschaftern“ und vergeben Diplome. Die kleineren Märkte müssen wegen des begrenzten Budgets aber etwas vernachlässigt werden.

Sehen Sie in den „neuen“ bzw. „sozialen Medien“ nicht Möglichkeiten, gerade solche kleineren oder spezialisierten Märkte zu bearbeiten?

Ja, ich denke, diese neuen Medien könnten etwas bewirken. Aber der Weg vom Impact zum realen Verkauf ist schwierig. Das sind Medien für die jungen Menschen und diese kennen Whisky, Wodka oder Gin und kaufen ihn manchmal online – aber sie kennen Armagnac nicht ...

Eine letzte Frage: Wenn der Brexit kommt, haben viele Leute Angst davor, dass die Preise für Scotch-Whisky weiter steigen. Könnte das nicht eine Chance für Armagnac sein, europäische Spirituosenliebhaber von sich zu überzeugen?

Dazu kann ich leider gar nichts sagen, denn wie der Brexit ablaufen wird, weiß wirklich noch kein Mensch. Ich hatte vor wenigen Wochen einen Destillerie-Betreiber aus England zu Gast, aber auch der war ratlos. Abgesehen von allen politischen Fragen: Vergessen Sie niemals, dass die Verkostung eines Armagnacs ein Moment der Freude ist. Sie müssen nur den richtigen Moment wählen, um einen Armagnac zu genießen.

Danke für das Gespräch!


Links:
https://www.armagnac-castarede.fr/en/

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