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„Man muss kein Experte sein, um Armagnac genießen zu können“

„Man muss kein Experte sein, um Armagnac genießen zu können“

26.12.2021 12:11

Ein Gespräch mit Claire de Montesquiou, Inhaberin der Domaine d'Espérance, über die aktuelle Marktsituation, Frauen in der Branche und neue Entwicklungen in der Region.


Bild: © Domaine d'Espérance


Fassstark: Armagnac führt noch immer ein „Nischendasein“ in der Welt der Spirituosen, v.a. im Vergleich zu Whisky, Cognac oder R(h)um. Die Absatzzahlen für 2020 waren, auch coronakrisenbedingt, nicht sehr gut. Für 2021 zeichnet sich wieder ein starker Aufwärtstrend ab. Wie schätzen Sie die aktuelle Marktentwicklung ein?

Claire de Montesquiou: Wir werden ein „Nischenprodukt“ bleiben, weil unsere Produktionskapazität durch die mögliche Anbaufläche in der Gascogne begrenzt ist. Wir auf der Domaine d'Espérance bemerken eine verstärkte Nachfrage aus den USA und anderen Ländern. Aber wir bemerken auch, dass der asiatische Markt, insbesondere der chinesische, immer noch unter der Krise leidet. Und wir freuen uns sehr darüber, dass einige junge Unternehmen auch junge Armagnacs kaufen und für den Cocktailmarkt blenden, was auch bedeutet, dass es trendy ist, Armagnac zu trinken.

Sie sagen also, dass China aktuell Probleme hat und die Nachfrage v.a. aus den USA sehr stark ist. Wie sieht es bei Ihnen mit Russland und den deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz aus?

In Russland hatten wir einen sehr guten Importeur, der sich in Armagnac verliebt und nun mit meiner Hilfe ein sehr schönes Anwesen neben uns gekauft hat. Deshalb importiert er jetzt seine eigenen Armagnacs und ich muss einen neuen Importeur finden! In Deutschland und Österreich wiederum haben wir schlicht keinen guten Importeur. Sollte sich das ändern, denke ich schon, dass Deutschland und Österreich sehr entwicklungsfähige Märkte wären. Die Schweiz wäre ebenfalls eine Möglichkeit, schon weil mein Mann hauptberuflich für eine Schweizer Bank arbeitet. Die Schweizer sind jedoch sehr „traditionell“ und lieben in erster Linie die ganz alten Spirits. Ich kann aber nur Armagnacs seit unserer Übernahme der Domaine Anfang der Neunzigerjahre in ausreichender Menge anbieten. Ältere Armagnacs aus Fässern, die wir bei anderen Herstellern entdeckt und erworben haben, bieten wir nur in der Kleinserie „Trésors de d'Artagnan“.


Im Lagerhaus ("Chai") der Domaine | Bild: © Domaine d'Espérance

Sehr viele Whiskytrinker – ob nun Liebhaber von Scotch Single Malts aus Europa oder von Bourbon-Whiskeys aus den USA – kommen irgendwann auf den Geschmack von Armagnac. Wo liegen aus Ihrer Sicht die „verbindenden Elemente“ zwischen Armagnac und Whisk(e)y?

Unsere neuen Kunden stammen sehr oft aus der Whisky-Welt. Zunächst einmal sind sie an hohe Alkoholgehalte gewöhnt und haben daher keine Angst vor dem Alkohol und es fällt ihnen leichter, sich in die Welt der naturbelassenen Armagnacs einzufühlen. Die Bourbon-Trinker verstehen sehr schnell die Vanille- und Holz-Aromen, die sie in unseren Armagnacs erkennen können. Die Scotch-Single-Malt-Trinker wiederum können die Lakritze und die verschiedenen subtilen Geschmäcker der verschiedenen Einzelfässer genießen, die wir bei Espérance haben. Um Menschen von Armagnac zu überzeugen, ist es meiner Erfahrung nach der beste Weg, ein Tasting zu veranstalten.

Sie veranstalten neben Tastings auch eigene Kochseminare, um die Menschen von den Produkten der Gascogne zu überzeugen und produzieren auch Wein ...

Als wir die Domaine übernahmen, hatten wir noch keine reifen Armagnac-Fässer und wir mussten natürlich unseren Lebensunterhalt verdienen und die Angestellten bezahlen. So haben wir natürlich den Gascogne-Wein produziert. Wir haben mit 4 Hektar Rebfläche begonnen und haben nun 45 Hektar, wovon wir 18 für Armagnac verwenden. Die Produktion von Wein haben wir mittlerweile sehr zurückgefahren, unser Hauptgeschäft ist Armagnac. Der Armagnac-Vertrieb ist dabei eine sehr persönlich Angelegenheit.

Bei den Tastings versuchen viele Menschen, die Armagnacs als „gut“ oder „schlecht“ zu beschreiben. Ich denke, es ist sinnvoller, einfach zu fragen: „Mögen Sie diesen Armagnac – oder mögen Sie ihn nicht so sehr?“. Man muss nämlich kein Experte sein, um Armagnac zu trinken, man sollte ihn einfach genießen können.

Und wie würden Sie die Unterschiede zwischen den „alten Rivalen“ Armagnac und Cognac beschreiben?

Für mich ist das wie der Vergleich zwischen Bordeaux-Wein und Burgunder. Große Unternehmen mit ihren Assets im Vergleich zu kleinen oder mittleren Händlern oder Produzenten mit ihren großen Persönlichkeiten. Armagnac hat einen sehr eigenen Markt für Liebhaber von Fassstärken.


Das Stammhaus mit den Lagerhäusern | Bild: © Domaine d'Espérance

Auch bei den Armagnacproduzenten ist ein Trend hin zu „biologischen Produktionsweisen“ zu beobachten. Was bedeutet das konkret in der Produktionsarbeit?

Da ich noch nicht bio-zertifiziert bin, kann ich nicht direkt antworten, aber wir sind seit diesem Jahr HVE-zertifiziert (HVE steht für Haute Valeur Environmentale). Da wir uns in der Nähe des Atlantiks befinden, regnet es in der Gascogne sehr viel, besonders im Westen, wo Espérance liegt. Meine Nachbarn, die biologisch anbauen, haben dieses Jahr nichts geerntet, weil es in diesem Sommer oft geregnet hat. HVE ist nicht perfekt, aber es ist ein großer erster Schritt.

Wie könnte man aus Ihrer Sicht das an sich hervorragende Produkt Armagnac weltweit bekannter machen – und welche Rolle könnten dabei Ihrer Einschätzung nach die „neuen Medien“ spielen?

Das Internet und die „neuen Medien“ spielen eine große Rolle, um Armagnac bekannter zu machen. Armagnac ist heute eine Spirituose für trendige Menschen, die vernetzt sind und die das Privileg haben, diese wunderbare Spirituose zu entdecken. Wenn diese Armagnac einmal probiert haben, werden sie mit unserer kleinen Welt verbunden bleiben.

Abgesehen natürlich von den Armagnacs aus eigener Produktion – welchen Armagnac-Stil mögen Sie besonders, welche Produzenten können Sie, ganz subjektiv, empfehlen?

Der Mensch, der meine Sicht auf Armagnac grundlegend verändert hat, ist Martine Lafitte von der Domaine Boingnéres. Sie hat mich von der Folle-Blanche-Traube überzeugt. Besonders interessant sind auch die jüngeren Armagnacs meines Neffen Jean und seiner Frau Lili de Montal vom Chateau Arton. Die Qualität der Weinbereitung und die Sauberkeit der Stills für die Destillation sind wirklich entscheidende Punkte bei der Herstellung. Aber jedes Jahr lernt man etwas Neues! Nach einem Versuch mit meiner eigenen Brennanlage werden meine Armagnacs wieder von einem „fahrenden Brenner“, Patrick Michalouski, gebrannt. Ich nutze auch ausschließlich Fässer von Bartholomo, und zwar mit maximal „Medium Toasting“. Zu starkes Toasting überdeckt meiner Erfahrung nach etwas die dunkel-fruchtigen Noten eines Armagnacs; die Fässer für Folle-Blanche-Armagnacs sollten noch leichter getoastet werden, wenn man sie jung genießen möchte.

Es gibt auch einige neue Aktivitäten in der Region: Der US-Amerikaner Raj Peter Bhakta hat Ryst-Dupeyron übernommen, Alexander Stein, Erfinder des „Monkey 47“-Gin, hat unlängst ein Armagnac-Haus von Pernod Ricard übernommen, die elsässische Familie Westphal hat Chateau Saint Aubin gekauft und eine Gruppe junger Männer von etwa 30 Jahren versucht unter dem Namen „Armagnac Armin“ erfolgreich, den Armagnac „trendiger“ und „jünger“ zu vermarkten. Alles Aktivitäten, die Armagnac ins Gespräch bringen und letztlich gut für die Region sind.

Ergänzend dazu ist auch, ähnlich wie in der Charente, zu beobachten, dass immer wieder und immer mehr Frauen das Kommando übernehmen; Fanny Fougerat bei Cognac bspw. oder Sie, Martine Lafitte, Florence Castarede, Nelly Lacave, die Rozes-Schwestern und andere bei Armagnac. Ist Armagnac auch ein „Frauen-Business“?


Claire de Montesquiou, Inhaberin der Domaine d'Espérance | Bild: © Domaine d'Espérance

Ich denke, wir Frauen haben einfach einen etwas anderen Gaumen und ein etwas feineres Geschmacksempfinden. Deshalb gibt es auch sehr viele Frauen in der Parfum-Welt und der Welt der Luxusgüter insgesamt. Einige von uns versuchen auch, den Armagnac von seinem früheren „rustikalen Image“ weg zu einer „feinen, delikaten“ Qualität zu entwickeln. In meinem Fall möchte ich auf keinen Fall, dass meine Armagnacs wie ein „rustikaler Cousin“ des Cognacs schmecken oder beschrieben werden!

Wie sieht es auf Ihrem Anwesen mit der Nachfolge aus?

Wir haben vier Kinder. Mein jüngster Sohn ist nun sehr interessiert daran, das Weingut und die Armagnac-Produktion zu übernehmen, was uns natürlich sehr freut. Die Tradition kann also fortgeführt werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Links:
https://www.armagnac-esperance.com/

Interview und Aufbereitung: @StyrianSpirit

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