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Armagnac aus der Sicht eines Whiskygenießers - die Blog-Reihe Teil 3

Armagnac aus der Sicht eines Whiskygenießers - die Blog-Reihe Teil 3

23.08.2019 16:01




Es geht weiter mit unserer Blog Reihe Armagnac aus der Sicht eines Whiskygenießers.
StyrianSpirit berichtet uns von seinen Erfahrungen auf seiner Erkundungsreise in die Tiefen des Armagnac-Genusses. Dabei verbindet er seine persönliche Meinung mit den Aussagen von Experten und stellt einen Vergleich an zwischen Whisky und Armagnac.


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Von der Ersatzreligion zum eigenständigen Vergnügen

Ein Bericht eines Single-Malt-Liebhabers über die größten Hoffnungen, Missverständnisse, Irrtümer und Freuden beim Kennenlernen von Armagnac.

Im Leben fast jedes Whisky-Liebhabers kommt der Moment, wo man sich fragt: Kann es in der weiten Welt der feinen Geister noch etwas geben, das so aufregend gut und vielfältig ist wie Scotch Whisky? „The most sophisticated of real drinks are the brandies of France and the whiskies of the British Isles. The most complex brandies are the cognacs and armagnacs. The most complex whiskies are those of Scotland, Ireland, Japan, and Kentucky in the USA“, schrieb Michael Jackson, der legendäre Whisky-, Bier- und Spirituosen-Autor in seinem „Malt Whisky Companion“ Ende der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. So stößt fast jeder Whisky-Liebhaber, die weiblichen wie die männlichen, irgendwann auf Armagnac, die sagenumwobene Spirituose aus dem tiefsten Südwesten Frankreichs. So ging es auch mir vor ziemlich genau einem Jahr. „Probieren wir mal …“ lautete die Devise.

Mehr als 50 Armagnac-Verkostungen, sechs Fachbücher, unzählige Fachartikel und Onlineressourcen später, nach vielen Gesprächen bei privaten Armagnac- und Single-Malt-Tastings und noch mehr Diskussionen in Online-Foren bin ich etwas schlauer geworden. Das Zeug schmeckt, ganz außerordentlich sogar. Und ich beginne schön langsam, Armagnacs nicht mehr mit Whisky zu vergleichen. Ein Entweder-oder kam von Beginn an nicht infrage, gleichwohl taucht bei Single-Malt-Liebhabern immer die Frage auf: Ist Armagnac nun besser oder schlechter als Whisky? Was unterscheidet diese letztlich doch so unterschiedlichen Spirituosen? Wer könnte das besser wissen als jene, die sich schon ein ganzes Leben lang mit Whisky und Armagnac beschäftigen: Florence Castarede, Mario Prinz, Denis Lesgourgues und Marc Darroze wurden gefragt und haben Antworten gegeben.

Ein „Whisky-Urgestein“ wie Mario Prinz, Gründer und Geschäftsführer des Wiener Potstill, berichtet: „Für viele Konsumenten ist Whisky auch zur Ersatzreligion geworden. Bei Armagnac gibt’s das nicht, da geht’s wirklich nur um das reine Produkt eines Weinbauern, da geht’s ganz einfach um die Qualität. Das ist bei Whisky oft nicht mehr so. Da gibt’s manches Mal ‚die größte Plörre‘ um sündteures Geld – aber die Geschichte drumherum stimmt.“ Und Prinz legt nach: „Es gibt nicht mehr so viele Single-Malt-Freunde, die wertfrei auf ein Produkt zugehen. Wenn das der Fall ist, wird man von Armagnac nicht enttäuscht sein. Es ist ein bissl ein anderer Geschmack. Wir haben bei Blind Tastings schon einen Cognac unter die Single Malts gemischt – das war dann nur sehr schwer auseinander zu halten. Die meisten sagen dann ‚Aha, das schmeckt aber interessant‘. Da hat noch keiner gesagt: ‚Das ist aber ein Cognac oder ein Armagnac!‘ Das lässt man sich schon als Whisky einreden.“

Die grundlegenden Unterschiede

Dabei liegen die grundlegenden Unterschiede auf der Hand: Whisky wird aus gemälzter Gerste und der vergorenen Maische destilliert, Armagnac aus gepressten und vergorenen weißen Trauben. Die „floralen“ und „fruchtig-traubigen“ Noten sind typisch für Armagnac. Armagnac wird in den allermeisten Fällen einfach gebrannt und kommt üblicherweise mit „nur“ rund 50 bis 56% Alkoholgehalt ins Fass. Das macht länger gelagerte Armagnacs wesentlich leichter als die zweifach gebrannten und im Schnitt um etwa fünf bis zehn Volumenprozent stärkeren Single-Malts. Für Armagnac wird ausschließlich französische Eiche verwendet, für Scotch Whisky sind fast alle Eichenfässer erlaubt, egal welcher Herkunft – das verleiht Armagnacs die tiefen Tabak-, Espresso- und Eichennoten ebenso wie leichte Raucharomen; die Single Malts wiederum holen sich die Fruchtigkeit aus der Fassart und der spezifischen Vorbelegung etwa aus Sherryfässern. Wobei man nicht vergessen sollte, dass der Rohbrand („New Make“) der allermeisten Whiskies ebenfalls enorm fruchtig auftritt.

Florence Castarede sieht neben dem aromenreichen Ausgangsprodukt Wein einen wesentlichen Unterschied im Produktionsprozess: „Der Hauptunterschied zwischen den beiden Spirituosen Scotch Whisky und Armagnac besteht darin, dass wir beim Armagnac ganz intensiv an der Alterung, am Reifungsprozess arbeiten; beim Whisky wiederum gibt es die Meisterschaft des Mischens, des Blendings.“ Castarede hat folgende Beobachtung gemacht: „In der Armagnac-Branche gibt es einen wahren ‚Kellermeister‘ – dieser Meister kümmert sich wirklich um jedes einzelne Eichenfass im Lager. Er kann die Fässer öffnen, er kann den Armagnac zwischen den Fässern austauschen, er kann die Armagnacs belüften und so weiter. In den Whisky-Destillerien, so wie ich sie kenne, wird die Fassreifung insofern ‚blockiert‘, als der Korken dicht ins Fass geschlagen wird und nur alle paar Jahre, wenn Inventur gemacht wird, werden die Fässer geöffnet und kontrolliert. Beim Armagnac ist immer jemand im Lager. In den von mir besuchten Whisky-Destillerien sah ich fast nie einen Menschen im Lager. Aufgrund der riesigen Menge an Holzfässern hätten sie auch gar nicht die Zeit, jedes Fass einzeln zu kontrollieren. Bei uns haben wir sehr kleine Unternehmen, so dass wir uns auch die Zeit nehmen können, uns viel intensiver um alle unsere Fässer einzeln zu kümmern.“

Die Branchenzahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Pro Jahr werden rund vier bis fünf Millionen Flaschen Armagnac produziert, vom „großen und bekannteren Bruder“ Cognac werden schon rund 190 Millionen Flaschen jährlich in Umlauf gebracht. Die Scotch-Industrie produziert etwa 1,2 Milliarden (!) Flaschen pro Jahr – das ist das Zweihundertfünfzigfache der Armagnac-Produktion. Es ist also kein Wunder, dass Whisky zur Industrie geworden ist und Armagnac in den meisten Fällen noch als „Family Business“ funktioniert. Umso erstaunlicher, dass beide Produktionsweisen zu vergleichbaren Spitzenqualitäten führen.

Das sinnlose Match Armagnac vs. Single Malt

In Sachen „Terroir“, also der „Boden-“ und „Regionsverbundenheit“, steht es 1:0 für Armagnac. Das Ausgangsmaterial, die Trauben, wachsen in den eigenen Weingärten, werden gelesen, vinifiziert und auf eigenem Grund und Boden gebrannt. Die wenigsten Destillerien bauen noch das eigene Getreide an. Die Fässer für traditionellen Armagnac stammen in der Regel von der „französischen Schwarzeiche“ aus der Region Gascogne; oder es sind Fässer aus (ebenfalls nicht weit entfernt wachsender) Limousin- oder Troncais-Eiche; Fässer aus französischer Eiche jedenfalls. Dass die Fässer für Single Malt nicht aus Schottland kommen, ist ebenso typisch wie bekannt. Beide Spirituosen lagern dann für Jahre und Jahrzehnte in den Warehouses der Produzenten – Chais in Frankreich genannt – und nehmen so „das Umgebungsklima“ auf. Und, wie Florence Castarede ausführt, die Armagnac-Experten sind „Fassmeister“, die Schotten sind „Meister des Blendings“. Im Wesentlichen gilt das für die in hohen Stückzahlen produzierten Blends und „Standard-Malts“. Kleinere Batches und Single-Cask-Abfüllungen werden auch in Schottland sorgfältigst und individuell betreut.


Weinberge am Chateau de Laubade: Hier wächst der Rohstoff für den Edelbrand. © Chateau de Laubade


In Sachen „Handarbeit und Tradition“ steht es dann 2:0 für Armagnac. Dass der französische Branntwein die Spirituose mit älterer Tradition ist, dürfte bekannt sein. In der Gascogne gibt es Häuser und Familien, die seit dem 18. Jahrhundert in zehnter, elfter Generation Armagnac produzieren. Natürlich gibt es auch ähnlich alte Single-Malt-Unternehmen. Da Armagnac jedoch die viel kleinere Nummer ist, ist auch die Struktur in aller Regel noch „familienbetriebsbezogen“. Wenn man das schätzt, ist das ein Pluspunkt. Andererseits sollte man der Whisky-Industrie ihren weltweiten Erfolg nicht vorwerfen. Die Branche ist notwendigerweise zur Industrie geworden – und die weltweit agierenden Familienbetriebe wie Glenfarclas sind die Ausnahme.

Neben der Handarbeit bei der Herstellung des Ausgangsproduktes Wein, die im Falle Armagnac von den Produzenten selbst erledigt wird, werden auch die Fässer mit Holz aus der Region und von Tonneliers aus der Region (und in manchen Fällen auch direkt von den Produzenten wie bei Laubade) hergestellt. Das Brennen und die Fasslagerung sowie die Abfüllung in Flaschen erfolgen bei traditionellem Armagnac ebenfalls vor Ort bei den Produzenten.

Charles Neal fasst in seinem Standardwerk „Armagnac. The Definitive Guide To France’s Premier Brandy“ – für die internationale Armagnac-Community in seiner Orientierungsfunktion und historischen Bedeutung vergleichbar mit Michael Jacksons „Malt Whisky Companion“ – den Wesenskern von Armagnac so zusammen: „Ultimately great armagnac is a synthesis of environmental factors (climatic conditions, terroir), materials (grapes, quality of barrels) and technique (storage conditions, racking, reduction).“


In einem der Lagerhäuser (Chais), in dem die Armagnac-Fässer aus französischer Eiche für Jahre und Jahrzehnte reifen. © Armagnacs Darroze


In Sachen „Angebotsvielfalt“ holt der Single Malt auf: Die vielfältige Stilistik bei Armagnac ist trotz des vergleichsweise kleinen Gebietes frappierend. Die Angebotsvielfalt bei Single Malt ist dennoch größer. Erstens ist Schottland größer und vielgestaltiger als die Gascogne, zweitens kann mit Fässern aus aller Welt experimentiert werden und drittens gibt es etwas, was es bei Armagnac definitiv nicht gibt: Die „Torf-Aromen“. Es gibt zwar „leicht rauchige“ Armagnacs mit den Raucharomen aus den Fässern, aber „Peaty Armagnac“ gibt es nicht.

Bei der „Reinheit“ stellt Scotch Whisky dann endgültig das Unentschieden zum 2:2 sicher. In den Whisky, also zum Spirit im Eichenfass, darf nur Wasser zur Verdünnung und zur Färbung Karamell (E 150). Zum Spirit im Armagnac-Fass sind neben dem ebenfalls erlaubten Wasser und Karamell auch noch ein wässriger Aufguss von Eichenspänen sowie Zuckersirup „zur Geschmacksabrundung“ erlaubt. Hier unterscheidet sich dann der „traditionelle“ und „naturbelassene“ Armagnac von den „kommerziellen“ Produkten. „Wenn VS-Armagnacs so dunkel sind wie 20 Jahre alte Armagnacs oder Whiskies oder Cognacs, gibt es ziemlich sicher einen Zusatz von Tanninen und Zucker, um den ‚Alterungsprozess‘ zu beschleunigen. Je jünger der Armagnac, desto eher besteht die Möglichkeit, dass darin etwas Karamell oder Sirup enthalten ist“, berichtet Marc Darroze, von 2016 bis Juli 2019 Präsident des BNIA (Bureau National Interprofessionel de l’Armagnac) und Chef des renommierten Armagnac-Hauses Darroze. Darroze ist ein Verfechter der „naturbelassenen“ Armagnacs und setzt wie etwa auch Castarede oder Lesgourgues seinen Armagnacs weder Karamell zur Färbung noch Eichenspäne oder Zuckersirup zur Geschmacksabrundung zu. „Brut de Fut“ nennt sich dieser Purismus – naturbelassen, so wie der Armagnac aus dem Fass kommt. Insgesamt also ein Unentschieden in diesem reichlich sinnlosen Match.

Was man von Armagnac nicht erwarten sollte – und was schon …

Was ein Single-Malt-Liebhaber nicht erwarten sollte, beschreibt Denis Lesgourgues, einer der Inhaber und Geschäftsführer am Chateau de Laubade, einem der großen Armagnac-Produzenten, so: „Wahrscheinlich einen Spirit mit ‚hartem Antritt‘, straight und aggressiv. Das ist nicht Armagnac. Er sollte auch nicht erwarten, Torf und starke Rauchigkeit zu finden. Der Hauptunterschied könnte die ‚sehr robuste Attacke‘ des Single Malts sein, wenn der Whisky seinen ersten Eindruck im Mund entfaltet. Ein feiner Armagnac ist wahrscheinlich eher ‚auf der runden Seite‘.“

Marc Darroze holt noch etwas weiter aus: „Für mich ist Scotch Whisky ein wenig trockener im Stil, der geschmeidige Charakter entwickelt sich während der Reifung. Deshalb werden die Scotch Whiskies auch in Fässern aus Spanien oder woher auch immer gereift oder gefinisht, um den Malts zu helfen, etwas runder zu werden. Wenn wir bei Armagnac durch die Single-Destillation vielleicht auch etwas weniger fein im Stil sind beim Rohbrand, erhalten wir doch insgesamt einen weicheren Charakter durch den Boden, die Trauben, die Luft. Wir sind unserem Boden, dem ‚Terroir‘, ein wenig näher als alle anderen doppelt gebrannten Spirituosen. Wahrscheinlich bewahren wir uns durch die einfache Destillation mehr Eigenschaften unserer ‚natürlichen Identität‘, das heißt die spezifischen Eigenschaften des Bodens, der Trauben usw. Das erklärt auch, warum wir ein wenig ‚runder‘ sind als Scotch Whisky. Der Einfluss des Reifeprozesses im Fass ist dann noch wichtiger.“

In erster Linie geht’s bei Armagnac um die intensiven Düfte und Aromen, um „das Parfum“ des Armagnacs. „Es tut mir leid das so sagen zu müssen, aber ich denke wirklich, dass Armagnac aufgrund des Ausgangsstoffs Weißwein eine viel größere Bandbreite verschiedener Düfte entwickeln kann als Whisky“, erzählt Florence Castarede, die das älteste Handelshaus der Region, das auch eigene Weine anbaut, in bereits sechster Generation führt. Eine Einschätzung, der nicht allzu viele Liebhaberinnen und Liebhaber hocharomatischer Single Malts werden folgen wollen. „Wenn Sie einen Armagnac probieren, haben Sie sofort das Gefühl der Frische und Fruchtigkeit, des Terroir und natürlich kommen später auch die verschiedenen Aromen des Alterns und des Alters. Wie beim Malt Whisky. Im Gegensatz zu Whisky gibt es bei Armagnac noch einen großen Bestand an sehr alten Jahrgängen und deshalb auch sehr viele verschiedene einzigartige Holzfässer. Diese Komplexität ist meines Erachtens der wichtigste Unterschied zum Scotch Single Malt.“

Unisono berichten alle Armagnac-Insider, dass sich der gute Stoff im Glas auch ganz und gar nicht zum Verdünnen mit den bei etwas stärkeren Single Malts durchaus üblichen „paar Tropfen Wasser“ eignet. Marc Darroze: „Wenn man ein wenig Wasser in den Brandy gibt, macht der zu. Es ist, als würde sich der Brandy von selbst schließen.“ Denis Lesgourgues hat eine schöne Geschichte zu erzählen: „Letztes Jahr brachte ich eine Gruppe von KollegInnen aus zwölf älteren Armagnac-Häusern und -Familien in die Speyside nach Schottland und wollte, dass sie sehen, was dort los ist. Eines Nachts probierten wir im Hotel eine schöne Auswahl fassstarker Whiskies – und der Kellner bot uns Wasser zur Verdünnung an. Es war einfach fantastisch, denn der Whisky offenbarte mit ein paar Tropfen sein volles Aroma, Geschmack und Profil. Und wir sagten: Lasst uns das auch mit Armagnac versuchen. Es hat tatsächlich nicht funktioniert. Und meiner Meinung nach funktioniert es auch nicht bei Armagnacs mit Fassstärke.“

Womit eine aktuelle Entwicklung angesprochen wäre: Fassstarke Single-Cask-Armagnacs. Üblicherweise haben Armagnacs eine Altersangabe – von V.S., V.S.O.P., XO bis zu Hors d’Age oder ganz einfach die Altersangabe in Jahren –, wobei das angegebene Alter wie bei Single Malts den jeweils jüngsten Teil der Mischung kennzeichnet, und werden bei rund 40 bis 43% abgefüllt. Oder es werden Jahrgangs-Armagnacs angeboten, die mindestens zehn Jahre alt sein müssen und nur aus dem Traubendestillat der Ernte des jeweiligen Jahres bestehen dürfen. Auch diese „Millesimes“, also Jahrgangs-Blends, wurden meist mit „Petit Eaux“, einer im Eichenfass gereiften Mischung aus Wasser und Armagnac, schrittweise auf rund 40 bis 43% verdünnt. Seit etwa zehn Jahren gibt es jedoch ein immer größeres Angebot an fassstarken Single-Cask-Armagnacs.

Eine Nachfrage, die zweifellos auch durch die Gewohnheiten in der Single-Malt-Szene befeuert wurde. Florence Castarede: „Die höheren Stärken sind eher etwas für die Connoisseure. Aber wir richten uns nach den Kunden und wenn die Nachfrage nach Armagnacs mit höherem Alkoholgehalt steigt, werden wir diese verstärkt anbieten.“ Denis Lesgourgues berichtet über die Entwicklung am Chateau de Laubade: „Viele Fassstärken in der Vergangenheit waren sehr aggressiv, wurden unzureichend belüftet und in nicht geeigneter Weise hergestellt. Nun gibt es schon größeres Know-how, etwa in der Belüftung der Lager, um sicherzustellen, dass fassstarke Armagnacs richtig altern können. Seit zehn Jahren bieten wir auch eine eigene Cask-Strength-Serie unserer Jahrgänge an. Ganz ohne ‚aggressive Noten‘, für die Hedonisten und jene Menschen, die den vollen Geschmack von Armagnac erleben wollen.“

Resümee aus der Genusspraxis

Beide Spirituosen bieten ein unvergleichliches Geschmacks-Grundprofil. Sie bewegen sich auf demselben Qualitätslevel, aber in unterschiedlicher Ausprägung.

In jungen Jahren (bis etwa 12 Jahre) bietet Armagnac meist die „delikateren“, „feineren“, blumigeren und fruchtigeren Noten. Spitzen-Armagnacs sorgen gleichwohl für eine elegante Farbigkeit und feine Würze, denn die frischen Fässer aus der Schwarzeiche geben gerade in den ersten beiden Jahren eine ordentliche Farb- und Aromenfracht ab. Das vermittelt dann die „jugendliche Power“, speziell bei unverdünnten Armagnacs. Und wie es scheint, eignet sich die Folle-Blanche-Traube aufgrund ihrer intensiven hellen Fruchtigkeit ganz besonders für die „jungen Wilden“ unter den Armagnacs.
In mittleren Jahren (von etwa 12 bis 20 Jahren) kommen Trauben-Mischungen aus Ugni Blanc, Baco und/oder Folle Blanche besonders gut zur Geltung – die Holz-Aromen sorgen für zusätzliche Abrundung Richtung Tabak und Kräuternoten.
Im besten Armagnac-Alter (ab 20 Jahren) spielt dann die Baco-Traube ihr Blatt voll aus, Schokolade und Bratäpfel, eine tief-dunkle Fruchtigkeit kommen typischerweise dazu, die Eiche sorgt schon mal für feine Espresso-Noten und im Verbund mit dem Brand für feine Nussigkeit.
Im hohen Alter (ab etwa 35 Jahren) melden sich die saftig-süße Pflaume und Orange noch intensiver, andererseits geht’s auch Richtung Süßholz, Wachs und feine Rauchnoten.

Und ja, ein Weinbrand schmeckt eben wie Weinbrand. Und Whisky schmeckt wie Whisky. Grundsätzlich und dem ersten Eindruck nach. Ein Spirit, der 40, 50 Jahre und mehr im Eichenfass gelegen ist, nähert sich jedoch geschmacklich an, ganz unabhängig vom Ausgangsmaterial. Florence Castarede: „Das ist auch so beim Rum. Wenn ein Single Malt, Rum oder Armagnac etwa 40, 50 Jahre alt ist, können die Geschmackseindrücke sehr ähnlich sein.“ Der 1929er-Baraillon und der 1956er-Glen-Grant etwa liefern ganz ähnliche alt-ehrwürdige Schwarzteenoten, eine feine Wachsigkeit und diese ruhige Eleganz der Sonderklasse. Die Aromen haben sich bereits ausgetobt, zurück bleibt die substanzvoll-unaufgeregte Erfahrung. Wer zuhören kann, dem wird viel erzählt werden ...


Nach 50 Jahren im Fass nähern sich die Aromen an: Beim Bas Armagnac der Familie Claverie aus dem Jahr 1929 sind die angenehm herben Schwarztee-Noten ebenso zu finden wie im Glen Grant von 1956. © StyrianSpirit


Bei Armagnac ist es wie bei Whisky – Geschmacks- und Duft-Erlebnisse gründen bei aller notwendigen direkten Vergleichbarkeit auf sozial vergleichbare Erfahrungen und individuelle Erlebnisse und zeitigen damit auch solche Beschreibungen. Florence Castarede etwa kann halbstundenlang über die verschiedenen Aromen der verschiedenen Altersstadien eines Armagnacs erzählen. Frauen haben einen enorm feinen Geruchssinn und ein Duftgedächtnis, das jenes der Männer übertrifft. Sagt nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die praktische Erfahrung unter anderem in den Whisky-Foren. Wie sagte Florence Castarede über Armagnacs, die älter als fünfzig, sechzig Jahre sind, so schön? „Da kann man auch das Parfum der Tiere, die sich am heimatlichen Boden herumtreiben, wahrnehmen.“

„Every aspect of Armagnac inspires opinions. Each producer has a view, knows that he or she is right, and sees little point in wasting time discussing it. As a Yorkshireman, I understand completely“, schrieb Michael Jackson 2001 in seiner Armagnac-Reportage im britischen Guardian über die weithin als eigen, selbstbewusst und auch als etwas sturköpfig wahrgenommenen Einwohnerinnen und Einwohner der Gascogne.

Locker bleiben

Spiritgenuss ist kein Wettlauf. Jede Spirituose hat ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Traditionen und damit ihren Eigenwert. Fährt man vom Kontinent Single Malt auf den Kontinent Armagnac, ist es natürlich sinnvoll, die bisherige Erfahrung zu nutzen. Vielleicht spricht man in manchen Bereichen sogar dieselbe Sprache oder kann auf ganz ähnliche Erfahrungen und Geschichten zurückgreifen. Es kann aber auch nicht schaden, an ein altes Sprichwort zu denken: „When in Rome, do as the Romans do.“

Es hat keinen Sinn, einem Armagnac die grundlegenden Eigenschaften eines Single Malts beibringen oder andichten zu wollen – und umgekehrt. Es ist viel schöner, Gemeinsamkeiten zu entdecken und Passendes für die eigene Genuss-Praxis zu integrieren. Vielleicht sollten wir öfter den Ratschlag von Florence Castarede beherzigen: „Vergessen Sie niemals, dass die Verkostung eines Armagnacs ein Moment der Freude ist. Sie müssen nur den richtigen Moment wählen, um einen Armagnac zu genießen.“ Und wir sollten uns an die Einsicht eines Denis Lesgourgues erinnern, falls ein den wahren Freuden des Spirit-Genusses Unkundiger Unverständnis formuliert: „Die schöneren Dinge im Leben sind nicht immer die bekanntesten ... So ist es bei Getränken, in der Kunst oder der Architektur. Es geht darum, die Menschen frei zu machen und zu begeistern – und das ist schon ein Teil der Schönheit.“

Autor: StyrianSpirit

Links:
Armagnac

Videos:
https://youtu.be/ElfLeHtEm98
https://youtu.be/0ieZh71kpTM

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