Danke @seshiro für diese überraschend-hervorragende Probe!
Geruch: Voluminöser dichter Sherry schlägt mir sofort entgegen. Aber nicht die überladenen "Dark Sherrymonster"-Aromen, sondern die feineren, nussigen Oloroso-Noten, gepaart mit ordentlicher Malzigkeit. Das könnte auch ein 18y-Speysider aus dem 2nd- bis 4th-Fill-Fass sein. Honig kommt noch dazu; und Kräuter wie Majoran und Kresse. Die 54,4% geben Dichte und leichte Frische, jedoch keine Hitze. Das alles ist schon sehr, sehr gut. Und auch ich wäre im Leben nicht darauf gekommen, dass das ein siebenjähriger (!) Single Malt aus Österreich (!) ist.
Geschmack: Der Malt kommt sherrysatt mit viel Nuss und dann doch überraschend auftauchender Süße in den Mundraum. Überraschend ist die Süße, weil sie ins (für mich) leicht "edradourhaft Gummisüße" geht. Eine sehr spannende Sache, denn zur quietschfidelen Süße gesellen sich nun noch intensivere Kräuter wie Thymian und Kerbel sowie eine stärkere Eichennote. Und auch eine zarte florale Komponente mit feiner Traubensüße. Die Fassstärke ist immer noch nicht hitzig, die dichte Textur sehr angenehm. Eine ebenso strange wie verführerische Aromenkombination.
Abgang: Der Ausklang ist mittellang -- diesen nun hätte ich etwas länger erwartet. Im Grunde sind wieder die Aromen des Gaumens präsent. Die oftmals im Abgang festzustellende stärkere Würzigkeit und leicht dominante Eichenbetontheit ist hier nicht zu bemerken. "Er geht runder wie Öl" könnte man sagen. Und verabschiedet sich relativ schnell.
Fazit: Der Geruch dieses Old Raven ist absolut faszinierend: Oloroso-Sherry-satt, malzig, mit der richtigen Dosis Kräuter und Honig. Der Old Raven wirkt locker zehn Jahre älter und reifer als er ist. Am Gaumen meldet sich dann die quietschfidele süße Jugend, die im Abgang vergleichsweise schnell verhaucht. Auch bei diesem Malt wäre ich im Blindtest im Leben nicht darauf gekommen, dass der Spirit nicht aus Schottland stammt und ein Alter von zwölf bis fünfzehn Jahren aufweist. So kann man sich irren. Dieser Old Raven ist einfach ein hervorragender Whisky und für mich ein 91-Punkte-Hochgenuss (93-91-89).
Die Fassreifung ist interessant: Zuerst vier Jahre im Bourbon Barrel, dann knapp drei Jahre im Oloroso Cask und schlussendlich für einige Monate im Brandy Cask. Die Sherry-Aromen dominieren dabei zweifellos, das Bourbon Barrel und das Brandy Cask könnten für die Anklänge floraler Noten samt zarter Traubensüße verantwortlich sein und die oftmalige Umlagerung hat offenbar auch etwas von der sonst nicht unüblichen Hitze bei diesem Alter und dieser Stärke genommen. Ein in jeder Hinsicht interessanter Whisky!