Finish: Kräftig, scharf, Bittermandel und dunkle Früchte klingen lange nach.
Bin ja durchaus ein Freund von kräftigen Umdrehungen, aber interessehalber habe ich dem auch mal mit Wasser versucht: Nase H2O: Süßlicher, Karamel, Kräuter, wirkt etwas lau.
Geruch: Tatsächlich, da kommen mir erstmal "Rum-Aromen" entgegen, also viel Frucht (Beeren), gepaart mit fein-dreckigem Aroma (die Scheune neben dem Kuhstall) und etwas Lagerfeuerrauch. Äußerst spannend, weil Rauch und Staub und ganz wenig feuchte Stallerde nie die intensiven Beerenfrüchte überdecken. Moos auf den Steinen und eine mineralische Note, wie es sich für einen Tenareze-Armagnac gehört. Die stolzen 58% würde man nie vermuten, sie geben einfach etwas Frische und Lebendigkeit.
Geschmack: Holla, die Waldfee! In den Mundraum kommt der Seailles tatsächlich mit dem Kuhstall, viel Dunkelfrucht (Schwarzbeeren, Pflaumen) und den ölig-werkstättlichen Noten (darin dem Caroni Bristol Classic 1997 nicht unähnlich). Die 58% sind auch im Mund nicht zu allzu rebellisch, jedoch schon sehr intensiv, naturgemäß. Das Mineralische meldet sich in der zweiten Welle.
Im Abgang verstärken sich die würzig-dreckigen Noten, es wird etwas trockener, die Früchte grundieren lediglich. Erstaunlicherweise vergeht der erste Abgangseindruck relativ rasch; die "leicht dreckigen" Noten verweilen aber als zarter Hauch dann doch länger. Das muss man auch mögen.
Fazit: Ja, der Seailles 1986 aus dem Fass 3 ist ein Unikum mit seinen "rumigen" und leicht "dreckigen" Noten. Die intensiven Früchte mit Schwarzbeere und Pflaume, Moos und mineralischen Noten, zeugen dann unmissverständlich von der Herkunft. Im Abgang wird die Sache etwas trockener und kürzer. Insgesamt ein 95-Punkte-Vergnügen (95.5-95-94.5) für mich. Sehr originell und intensiv. Den Stil (kräftiger Rum, leicht dreckig, mineralisch) sollte man allerdings mögen. Die für einen Armagnac erstaunlichen 58% nach mehr als 34 Jahren Reifung sind erstaunlich gut eingebunden -- ein Eindruck, der evtl. auch daran liegen mag, dass die Flasche nun schon seit vielen Monaten offen ist.
@Lameth folgend habe ich diesen 58%-Armagnac auch mit ein paar Tropfen Wasser verdünnt. In der Nase wird er etwas floraler und hell-fruchtiger. Am Gaumen wird der Armagnac tatsächlich wesentlich fruchtiger, die süßen Trauben und Beeren sind intensiver. Der Abgang bleibt lang und auf der fruchtigen Linie. Die "dreckigen Noten" treten fast ganz in den Hintergrund. Ich muss Lameth zustimmen, dieser Armagnac verträgt etwas Wasser sehr gut und zeigt dabei die süßere Seite seines Charakters.