Glenfarclas 1976/1996 Spirit of Independence (WID 5415)
Farbe: Tawny
Nase: Da ist er, der sagenumwobene old bottle flavour. Altes Papier und eine staubig-mineralische Note treffen auf Gerstenmalz und milde Kräuter. Limettentee schwingt mit. Auf der Fruchtseite machen sich gelbe und rote Lageräpfel, braune Birnen und Aprikosen bemerkbar. Feigen, Datteln und Nüsse sorgen für eine feine, gut passende Untermalung. Alles ist wunderbar harmonisch miteinander verwoben und der Alkohol bestens eingebunden. Mit der Zeit nehme ich immer mehr Orangenöl wahr und hin und wieder schimmert etwas Leder durch. Im Hintergrund liegt Panacotta. Der Tropfen ruht geradezu in sich. Ich bin gespannt, wie dieses dezent staubig wirkende Tee-Kräuterprofil schmeckt. In neuen Abfüllungen sucht man so etwas vergebens. Insgesamt wird die Nase mit zunehmender Standzeit immer weicher und runder.
Mund: Der Tropfen trifft weich und vergleichsweise klar auf die Zungenspitze. Herbes Getreide, Leder, etwas Schokolade, Rosinen und leicht erdige Datteln setzen den Grundton. Hinzu kommt auch geschmacklich ein bunter Strauß Kräuter, der mich an Heidekraut, Majoran, Sauerampfer und Rosmarin erinnert. Begleitend prickelt ein bisschen weißer Pfeffer auf der Zunge und neben Lakritz muss ich für einen Moment gar an Piment denken. Grüner Tee ist mit etwas Fantasie auch dabei. Dafür gibt es in der Gesamtschau weniger Früchte als erwartet: allenfalls diffus nehme ich Äpfel und Aprikosen wahr. Dafür untermalt ab dem zweiten Schluck eine florale Veilchennote den Geschmack. Das Eichenholz übernimmt dann im letzten Drittel der Geschmacksentwicklung die Regie. Bevor es ins Finish geht, wird es geschmacklich deutlich nussiger: eine Menge Haselnüsse spielen lecker mit dem Eichenholz zusammen. Das Mundgefühl passt, dürfte aber auch nicht wesentlich dünner sein.
Abgang: Das Finish ist überdurchschnittlich lang. Die Früchte in Form von Rosinen, Datteln und Aprikosen treten in den Hintergrund, bleiben dort aber durchgängig erhalten. Die Eiche und das Leder verstehen sich als Taktgeber: ein leckerer holziger Wildledergeschmack legt sich zusammen mit kaltem schwarzen Kaffee und Haselnüssen auf die Mundschleimhäute. Vom Mundgefühl her fühlt es sich zunehmends so an, als hätte ich einen tanninreichen Rotwein getrunken. Die Veilchen sind wieder präsent und hier und da schimmert sogar ein metallischer Anklang durch, der mich an Eisen erinnert. Die Kräuter aus dem Geschmack sind auch bis zum Schluß präsent, übernehmen aber zu keiner Zeit die Hauptrolle. Dezent wabert ein herber Holzrauch am Gaumen hin und her.
Charakter: Eine komplexe und elegante Sherryabfüllung alter Bauart, die mit einer schönen Balance von Fasseinfluss und Destillat aufwartet. Das Sherryprofil ist leicht mit einer Tendenz zu eher hellen Früchten. Die Trinkstärke überzeugt und lässt keine Wünsche offen. Eichenholz, Leder, Kräuter und Veilchen sollte man mögen. Besonders gut gefällt mir der tanninreiche finale Abgang.
Bewertung: Ich könnte ewig an diesem eleganten altehrwürdigen Sherryprofil riechen. Zum Trinken fast zu schade, aber was bleibt ist die Erinnerung. Für diesen schönen Glenfarclas alter Schule gibt es von mir genussvolle 91 Punkte.