Nase: Wow! Hier liegt eine unheimlich tiefe und komplexe Fruchtigkeit im Glas. Die feine Eleganz und Ausgewogenheit zieht mich sofort in den Bann. Ich bin angesichts des Alters schwer beeindruckt von der harmonischen Lebendigkeit und der angenehmen Frische dieser Abfüllung. Feiner schwarzer Tee agiert hervorragend als Bindeglied zwischen den einzelnen Aromen. Unheimlich dicht verwoben treffen Rosinen auf eine Menge Exotik. Honig und Orangenöl untermalen Galiamelone, reife Kaki, dunkle Pflaumen, reife Heidelbeeren, und rote Stachelbeeren. Im Hintergrund changieren Zitronen, wenngleich die Zitrusfrüchte von reifen Orangen dominiert werden. Hin und wieder blitzt etwas brauner Zucker durch und nach und nach komme ich feinem Leder, zarter Schokolade, kandierten Pfirsichen, allerbestem Eichenholz, Walnüssen und Lakritz auf die Spur. Endlich mal wieder ein Malt mit einem Anflug von Zigarrenkiste. Herrlich. Ich wünschte mir, dieser Genuss würde ewig halten. Mit etwas Abstand betrachtet, wird mir gerade bewusst, dass dieses herrliche Profil mir blind direkt auch als Armagnac oder Cognac durchgegangen wäre. Krass, wie sehr bei guten alten fassgelagerten Spirituosen die Grenzen ineinander verfließen.
Mund: Sanft und ölig trifft der Tropfen auf die Zungenspitze. Ruhig und gediegen liegt er im Mund und entfaltet nach und nach seinen Zauber. Zunächst einmal schmeckt er im allerbesten Sinne alt. Die Fasslagerung hat hier über Jahrzehnte ganz hervorragend auf das Destillat eingewirkt. Neben altehrwürdigem Eichenholz gibt es Anklänge von Waldboden und altem Weinkeller. Dazu gibt es Madeirapfirsiche, Orangenöl und leckeren schwarzen Kaffee. Auch geschmacklich könnte es sich um einen herrlich gereiften alten dunklen Armagnac handeln. Schwarzer, etwas Leder und zwischendurch eine Idee von Rosinen und Trockenfeigen. Etwas Majoran und Zimt verleihen dem Gesamtbild fast unbemerkt eine leckere Würzigkeit und schließlich übernimmt das Eichenholz immer mehr die schön langsame Geschmacksentwicklung. Raum und Zeit entrückt, gibt es zusätzlich zum Kaffee jetzt wieder Lakritz und auch etwas Espresso. Erneut wabert feiner schwarzer Tee appatitanregend im Hintergund und immer wieder schimmert das Orangenöl durch. Geschmack oder Finish? Egal, dieser Genuss ist grenzenlos.
Abgang: Das Finish ist glücklicherweise lang, denn es ist eine konsequente Fortsetzung des zauberhaften Geschmacks. Im Grunde genommen klingen alle Facetten des Geschmacks noch lange nach, wobei die tiefe Fruchtigkeit gegen Ende in den Hintergrund rückt und das erstklassige Eichenholz, der Waldboden, Kaffee, Espresso und Lakritz zusammen mit dem durchweg präsenten schwarzen Tee die letzten Töne etwas stärker anschlagen. Die Mundschleimhäute sind angenehm belegt und wellenweise klingt der Trinkgenuss langsam aus. Ein würdiger Ausklang. Bravo.
Charakter: Ein traumhafter Glen Grant, den man sich nicht annähernd an einem oder zwei Abenden erschließen kann. Harmonisch, komplex, gediegen und lebendig. Hier bleiben keine Wünsche offen. Absurderweise verdeutlich mit diese Abfüllung, dass ich den eingeschlagenen und faszinierenden Armagnac-Weg weitergehen sollte. Selten hatte ich einen Whisky im Glas, der der Holz-Dunkelfrucht-Rancio-Faszination alter Armagnacs und Cognacs derart nahe kommt. Wahrscheinlich einzig und allein deswegen, weil es so etwas im Bereich des Whiskys kaum noch gibt. Dieses Genusserlebnis mit der genau richtigen Dosis Zigarrenkiste werde ich jedenfalls noch lange in bester Erinnerung behalten.
Bewertung: Mit einem Extrapunkt dafür, dass er den ganzen Zauber mit nur 40% Vol. veranstaltet, bekommt dieser traumhafte Glen Grant von mir heute begeisterte 95 Punkte. Für mich Traumstoff.
@kraeftigen Ja, es war leider nur ein Sample. Von den alten Grants besitze ich keine Großflasche. Aber noch einige wenige andere Samples. Egal: man kann nicht alles haben. Ehrlich gesagt, waren sie mir damals schon zu teuer. Rückblickend relativiert sich das natürlich. Aber auch egal. Vorhandene Samples erlauben noch die eine oder andere Zeitreise und zeitgleich wird munter nach vorne geschaut. In dem Sinne