Nase: Unverdünnt kömmen mir zunächst leicht angegorene gelbe wachsige Lageräpfel in den Sinn. Aber es bleibt nicht bei Äpfeln. Die Charakteristik geht für mich stark in Richtung Madeirafrüchte. Ebenfalls angegoren wirkende Aprikosen, Pfirsiche und Marillen sorgen für die erste dicke Überraschung. Das hätte ich von einem Oloroso Sherry Butt nicht unbedingt erwartet. Der Alkohol ist im übrigen bemerkenswert gut eingebunden. Trotz der hohen Fassstärke sticht hier nichts in der Nase. Nach einigen Minuten schaffe ich es, hinter die massive Fruchtigkeit zu riechen. Jedenfalls kann ich immer mehr Malz und Getreide greifen. Reife Zitronen liegen im Hintergrund. Ganz zum Schluß kommt unterschwellig immer mehr Crème Brûlée durch. Blind hätte ich in diesem Fall nie auf eine Sherryabfüllung getippt. Umso gespannter bin ich auf den ersten Schluck. Vorher gibt es allerdings etwas Wasser dazu. Die 64,2% Vol. sind mir pur dann doch etwas zu viel des Guten.
Mund: Ölig und selbst mit einem halben Teelöffel Wasser auf gut 2cl mächtig intensiv trifft der Tropfen auf die Zunge. Sofort sind eingekochte Aprikosen da. Gibt es Aprikosen-Mandarinen-Marmelade? Egal, jedenfalls schmeckt dieser Tobermory für einen Moment so. Malz und Getreide fügen sich lecker ein und es dauert nicht lange, bis sich wenig überraschend immer mehr Würze aufbaut. Allen voran Pfeffer lässt sich nicht lumpen. Eine volle Ladung entlädt sich auf der Zunge. Sobald sich das Prickeln legt, übernehmen unter Begleitung des leckeren Malzes wieder die süßen Aprikosen und Mandarinen das Kommando. Marillen und weitere helle Früchte kommen durch während immer wieder verzagt ein paar Rosinen durchschimmern. Dafür gibt es immer mehr gelbe Äpfel und süße goldbraune Birnen. Mandeln leiten ins Finish über. Die Eiche selbst ist zwar irgendwie auch präsent, gibt sich bis dato aber sehr schüchtern.
Abgang: Das Finish ist mittellang bis lang. Die satten Madeirafrüchte aus dem Geschmack, eine Handvoll Rosinen und Mandeln dominieren zunächst. In der zweiten Hälfte des Finishs kommt dann doch noch ein prägender leckerer Eichenholzgeschmack durch. Ein stimmiger Abschluss.
Charakter: Eine überaus ungewöhnliche Oloroso-Sherryabfüllung. Der Tobermory Grundcharakter ist da, aber die Fruchtcharakteristik ist für mich wirklich Madeira-Style. Oder meinetwegen auch noch Marsala. Aber Oloroso? Wahnsinn, dass der diese angegoren wirkende Mischung aus Aprikosen, Mandarinen, Marillen, gelben Äpfeln und Birnen produziert. Den Alkohol finde ich bei alledem bemerkenswert gut eingebunden.
Bewertung: Ich bräuchte von diesem Geschmacksprofil jetzt keine Großflasche, aber diese Abfüllung probieren zu dürfen, war für mich ein echtes Erlebnis. Für diese Eigenwilligkeit gibt es von mir heute in der Gesamtschau gute 87 Punkte. Auf die Zugabe von Wasser sollte man allerdings nicht verzichten.
Klasse Notes @matts die zutreffender nicht sein könnten. Das Verkosten dieses Malts ist schon eine Herausforderung und eine ziemliche Achterbahnfahrt. Spannend finde ich, dass sich der Tobermory Spirit gegen diese Aromenschwemme behaupten kann. Sicherlich kein Malt für jeden Tag, aber hin und wieder macht der richtig Spass im Glas.
„Nichts auf dieser Welt ist gefährlicher als aufrichtige Ignoranz und gewissenhafte Dummheit.“ — Martin Luther King US-amerikanischer Theologe und Bürgerrechtler 1929–1968