Nase: Auf der hellfruchtig-filigranen Seite, er wirkt auch eher leicht und fein. Weiße Trauben, Sternfrucht, Pfirsich und leicht säuerlichen Rhabarber, der aber gerade mit Vanille eingekocht wird. Auch Goldkiwi und knackige Ananas finde ich, die sich aber dezent im Hintergrund halten. Dann kommt unaufgeregt-würziges Eichenholz zum Vorschein, und zwar in einem kühlen, nur minimal feuchten Naturstein-Gewölbekeller. Außerdem gehe ich an einer gut gepflegten Bibliothek vorbei. Die erstaunlich spritzige Fruchtigkeit steht für mich im Vordergrund, inzwischen sind sogar noch ein paar Johannisbeeren und Holunderblüten aufgetaucht, vielleicht auch ein paar frische Schnittblumen. Mund: Hier zunächst viel altehrwürdiges, elegant-muffiges Holz, das filigran wirkt und eine schicke, wohlintegrierte Würze zeigt. Diese Holzwürze ist gepaart mit karamellig-sahnigen Werthers Echten. Zwar wirkt er recht vollmundig, bleibt aber grundsätzlich für mein Empfinden leicht und elegant. Ein heller Fino-Sherry kommt mir in den Sinn, mit herb-spritzigen und weinsäuerlich-vergorenen Elementen. Abgang: Hier wirkt er für mich zunächst – wenn ich sein Alter bedenke – recht dünn. Das ist die „Kehrseite“ dieser Leichtigkeig – er scheint sich nicht sehr lange am Gaumen zu halten. Oder jedenfalls tritt er sehr dezent auf, ein Leisetreter. Eine appetitanregende Holzwürze kann ich noch schmecken, auch die herbe helle Frucht bleibt spürbar. Es braucht ein paar Schlucke, dann prickelt und wärmt er doch tatsächlich zunehmend intensiv. Auch der Speichelfluss wird angeregt – doch, da passiert jetzt richtig viel. Nach drei, vier Schlucken hat sich ein extrem schmeichelhaftes Mundgefühl aufgebaut und er beginnt, Suchtpotential zu entwickeln. Klasse!
Fazit: Auf den ersten Blick ein dezenter Leisetreter, der sich mir nicht sofort klettenartig an den Hals warf. Bei näherer Auseinandersetzung offenbart sich hier ein eleganter, für das hohe Alter erstaunlich lebendig fruchtiger, altehrwürdig-holzwürziger alter Herr mit sehr viel Tiefe. Die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit belohnt er mit zunehmender Komplexität, Ausdrucksstärke und tief wärmender Würzkraft, bleibt dabei für mich aber immer deutlich auf der fruchtigen Seite.
"Everything in moderation, including moderation." Oscar Wilde